Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
daraufhin eine demütigende Niederlage erlitten. Philip fühlte sich in diesem Augenblick für alles entschädigt, was er selber durchgemacht hatte: die Heimtücke, die Erniedrigung, die ständigen kleinen Seitenhiebe. Er hob das Kinn und riskierte die Sünde der Hoffart. Sein Blick war eine Botschaft an Waleran: Wer Philip von Gwynedd übers Ohr hauen will, muss früher aufstehen …
Der König sagte: »Teilt Bartholomäus, dem ehemaligen Grafen, meine Entscheidung mit.«
Philip vermutete, dass Bartholomäus irgendwo auf der Burg in einem Verlies saß. Die Kinder fielen ihm ein, die zusammen mit dem Diener in der Ruine hausten … Er musste an ihr zukünftiges Schicksal denken. Einmal mehr verspürte er Gewissensbisse.
Der König entließ die Anwesenden mit Ausnahme von Bischof Henry. Wie auf Wolken schritt Philip zum Ausgang. Gleichzeitig mit Waleran erreichte er die Treppe. Er blieb stehen, um dem Bischof den Vortritt zu lassen. Walerans Gesicht war eine hassverzerrte Maske, und als er den Mund öffnete, war es, als wolle er Gift und Galle spucken. »Ich schwöre Euch hoch und heilig, dass Ihr Eure Kirche niemals bauen werdet«, zischte er Philip an. Den Prior traf der Klang dieser Worte bis ins Mark.
Seine Hochstimmung war wie fortgeblasen.
Waleran zog seine schwarze Kutte fest um seine Schultern und stürmte die Treppe hinunter.
Philip wusste, dass er sich einen Feind fürs Leben gemacht hatte.
+++
Als die Burg Earlscastle in Sicht kam, konnte William Hamleigh seine Erregung kaum noch zügeln.
Es war am folgenden Nachmittag, also am Tag nach der Entscheidung des Königs. Obwohl er und Walter seitdem fast ununterbrochen im Sattel saßen, fühlte William sich nicht müde. Ihm war, als schwelle ihm das Herz in seiner Brust und schnüre ihm den Atem ab. In Kürze würde er Aliena wiedersehen.
Er hatte sie einst heiraten wollen, weil sie die Tochter eines Grafen war, und sie hatte ihn dreimal zurückgewiesen. Die Erinnerung an ihre Hochnäsigkeit ließ ihn zusammenfahren. Wie ein absoluter Niemand, ein Bauer, war er sich vorgekommen; sie hatte so getan, als seien die Hamleighs eine Familie von niedrigstem Stand. Doch inzwischen hatten sich die Voraussetzungen von Grund auf geändert. Nun war es ihre Familie, die nichts mehr galt. Er war der Sohn eines Grafen – und sie ein Nichts. Aliena hatte keinen Titel mehr, keinen Rang, kein Land, kein Vermögen. Er, William, würde nun die Burg in Besitz nehmen und Aliena davonjagen – und dann hätte sie nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf. Es war fast zu schön, um wahr zu sein.
Sie hatten die Burg fast erreicht. William zügelte sein Pferd. Er wollte Aliena ohne Vorwarnung überraschen: Wie ein Blitz aus heiterem Himmel wollte er über sie kommen und ihr einen furchtbaren, vernichtenden Schlag versetzen.
Graf Percy und Gräfin Regan waren zu ihrem Stammsitz nach Hamleigh zurückgekehrt, um die ordnungsgemäße Überführung des Familienschatzes, der besten Pferde und des Gesindes in die Wege zu leiten. William sollte ein paar Dorfbewohner zu Aufräum- und Reinigungsarbeiten auf der Burg anwerben. Earlscastle musste geheizt, gesäubert, kurz: bewohnbar gemacht werden.
Tief hängende, bleigraue Wolken quollen über den Himmel – so niedrig, dass sie fast die Zinnen der Burg berührten. Für die kommende Nacht kündigte sich Regen an. Um so besser, dachte William. Ich werfe sie in ein Unwetter hinaus …
Sie saßen ab und führten die Pferde am Zügel über die hölzerne Zugbrücke. Ich bin der Eroberer dieser Burg, dachte William voller Stolz. Im unteren Burghof spross bereits frisches Grün. Sie banden ihre Pferde an und ließen sie grasen; William gab seinem Schlachtross noch eine zusätzliche Handvoll Korn. Da kein Stall mehr vorhanden war, verstauten sie ihre Sättel in der Kapelle. Die Pferde schnaubten und stampften, doch verloren sich die Geräusche im böigen Wind. Zu Fuß überschritten William und Walter die zweite Brücke.
Nirgendwo war ein Lebenszeichen zu erblicken. Hat Aliena etwa die Burg verlassen, dachte William beklommen. Das wäre eine bittere Enttäuschung … Schon fürchtete er, eine trostlose, hungrige Nacht in einer kalten, verdreckten Burg stünde ihnen bevor. Sie stiegen die Außentreppe zum großen Saal empor. »Still!«, raunte er Walter zu, als sie vor der Tür standen. »Ich will, dass ihnen der Schreck in alle Glieder fährt.«
Er schob die Tür auf. Der große Saal war dunkel und leer, und es roch, als sei er
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