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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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schon monatelang nicht mehr benutzt worden. Vorsichtig schlich William auf die Treppe zu. Trockene Binsen knirschten unter seinen Füßen. Walter hielt sich dicht hinter ihm.
    Sie schlichen die Treppe hinauf. Nichts war zu hören: Die dicken Mauern des Wohnturms verschluckten alle Geräusche. Auf halbem Wege blieb William stehen, drehte sich um, legte warnend den Finger auf die Lippen und wies auf den Lichtschimmer, der durch den Spalt am unteren Türrand drang: Es war also doch jemand anwesend.
    Sie stiegen die letzten Stufen empor und verharrten vor der Tür. Drinnen erklang ein mädchenhaftes Gekicher. William lächelte glücklich. Er tastete nach dem Griff, drehte ihn vorsichtig herum und öffnete die Tür mit einem vehementen Tritt. Das Kichern verwandelte sich in einen Angstschrei.
    Ein hübsches Bild bot sich ihren Augen: Aliena und Richard, ihr jüngerer Bruder, saßen an einem Tischchen unweit des Kamins bei einem Brettspiel. Hinter Aliena stand Haushofmeister Matthew und blickte ihr über die Schultern. Alienas Gesicht schimmerte rosa im Schein des Feuers, und hier und da setzten die Flammen ihrer üppigen Lockenpracht kastanienbraune Glanzlichter auf. Sie trug eine helle Leinentunika, und ihre roten Lippen formten vor Überraschung ein großes rundes ›O‹. William sagte kein Wort. Er sah sie nur an und weidete sich an ihrer Furcht. Aliena brauchte nicht lange, um sich wieder zu fangen. »Was willst du hier?«, fragte sie.
    William hatte den Auftritt in seiner Fantasie schon mehrfach geprobt. Langsam betrat er den Raum, schritt zum Kamin und wärmte seine Hände über dem Feuer. Dann sagte er: »Ich wohne hier. Was willst du hier?«
    Aliena sah von ihm zu Walter. Sie war verwirrt und fürchtete sich; dennoch hatte ihre Stimme einen herausfordernden Klang.
    »Diese Burg gehört dem Grafen von Shiring. Sag, was du willst – und dann verschwinde!«
    Triumphierend grinste William über sein ganzes Gesicht: »Der Graf von Shiring ist mein Vater«, sagte er. Der Haushofmeister gab ein brummendes Geräusch von sich, als habe er diese Antwort befürchtet. Aliena wirkte aufs Äußerste bestürzt. »Mein Vater wurde gestern morgen in Winchester vom König zum Grafen von Shiring ernannt«, fuhr William fort. »Die Burg gehört uns, und bis zur Ankunft meines Vaters bin ich der Burgherr.« Er wandte sich an Matthew und schnippte mit den Fingern. »Ich habe Hunger. Bring mir Brot, Fleisch und Wein!«
    Der Haushofmeister zögerte und warf Aliena einen besorgten Blick zu. Er wollte sie nicht allein lassen, sah aber ein, dass er keine Wahl hatte. Er ging zur Tür. Aliena traf Anstalten, ihm zu folgen, doch William rief ihr im Befehlston zu: »Du bleibst hier!«
    Walter stand zwischen ihr und der Tür. Es gab kein Entkommen.
    »Du hast kein Recht, mir Befehle zu erteilen!«, sagte Aliena, und der altgewohnte, gebieterische Ton schwang in ihrer Stimme mit.
    »Bleibt hier, Herrin«, sagte Matthew, sichtlich eingeschüchtert. »Regt sie nicht auf. Ich bin gleich zurück.«
    Aliena warf ihm einen unwirschen Blick zu, blieb aber, wo sie war. Matthew verschwand.
    William setzte sich an den Tisch, während Aliena neben ihrem Bruder am Spieltisch Platz nahm. Er musterte die beiden aufmerksam. Sie sahen einander ähnlich, doch alle Kraft schien dem Mädchen vorbehalten. Richard war in letzter Zeit stark aufgeschossen. Sein Gesicht war noch bartlos; seine Haltung verriet die ganze Unsicherheit des Heranwachsenden. William genoss das Gefühl, die Geschwister in seiner Gewalt zu haben. »Wie alt bist du, Richard?«, fragte er.
    »Vierzehn«, antwortete der Junge mürrisch.
    »Schon mal wen getötet?«
    »Nein«, gab Richard zurück, um mit bemühter Verwegenheit hinzuzufügen: »Noch nicht.«
    Auch du wirst zu Kreuze kriechen, du aufgeblasener kleiner Furz, dachte William und wandte sich an Aliena: »Und wie alt bist du?«
    Im ersten Moment sah es so aus, als weigere sie sich, mit ihm zu reden. Doch dann schien sie ihre Meinung zu ändern – vielleicht, weil sie an Matthews Warnung denken musste – Regt sie nicht auf … »Siebzehn«, sagte sie.
    »Ei fein, die ganze Familie kann zählen!«, sagte William. »Bist du noch Jungfrau, Aliena?«
    »Natürlich!«, fauchte sie.
    Unvermittelt streckte William den Arm aus und fasste an ihren Busen. Die Brust füllte seine große Hand. Er packte zu. Das Fleisch war fest, aber nachgiebig. Aliena zuckte zurück. Seine Hand rutschte ab.
    Viel zu spät fuhr Richard dazwischen und schlug

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