Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
zwischen sich und den Fremden. »Wir haben kein Geld«, sagte sie. »Wir haben überhaupt nichts.«
»Ich bin der Jagdpfleger hier«, sagte er.
Aliena brach vor Erleichterung fast in die Knie. Ein Jagdpfleger stand in den Diensten des Königs und wurde dafür bezahlt, den Jagd- und Forstgesetzen Geltung zu verschaffen. »Warum hast du das nicht gleich gesagt, du dummer Kerl?«, sagte sie, verärgert über ihre eigene Angst. »Ich hielt dich schon für einen Wegelagerer!«
Er schien überrascht und sogar beleidigt, als habe sie etwas Unhöfliches gesagt, erwiderte jedoch lediglich: »Ihr seid dann wohl eine Dame von Stand.«
»Ich bin die Tochter des Grafen von Shiring.«
»Und der Knabe wird sein Sohn sein«, sagte der Jagdpfleger, obwohl er Richard gar nicht gesehen haben konnte.
Richard kam näher und ließ das Holz fallen. »Stimmt«, sagte er. »Wie heißt du?«
»Brian. Habt Ihr vor, die Nacht hier zu verbringen?«
»Ja.«
»Ganz allein?«
»Ja.« Aliena war klar, dass er sich fragen musste, warum sie ohne Begleitung unterwegs waren, wollte sich aber nicht dazu äußern.
»Und Ihr sagt, Ihr habt kein Geld.«
Aliena blickte ihn stirnrunzelnd an. »Du zweifelst an meinen Worten?«
»O nein. Mir ist klar, dass Ihr von Adel seid. Das erkenne ich an Eurem Gebaren.« Schwang eine Andeutung von Ironie in seiner Stimme mit? »Falls Ihr allein und mittellos seid, würdet Ihr es vielleicht vorziehen, die Nacht in meinem Haus zu verbringen. Es ist nicht weit von hier.«
Aliena hatte nicht die Absicht, sich diesem rauen Gesellen anzuvertrauen. Sie wollte das Angebot schon ablehnen, als er wieder das Wort ergriff.
»Meine Frau wird Euch mit Freuden bewirten. Außerdem habe ich ein warmes Nebengebäude, wo Ihr schlafen könnt, falls Ihr lieber allein seid.«
Die Erwähnung der Frau gab den Ausschlag. Die Gastfreundschaft einer achtbaren Familie sollten sie unbedenklich annehmen können. Doch Aliena zögerte immer noch. Dann stellte sie sich ein Kaminfeuer vor, eine Schale heiße Suppe, einen Becher Wein und ein Lager aus Stroh mit einem Dach über dem Kopf. »Wir wären dir sehr dankbar«, sagte sie. »Geben können wir dir nichts – ich habe die Wahrheit gesagt, wir haben kein Geld –, aber eines Tages kommen wir zurück und zeigen uns erkenntlich.«
»Das genügt«, sagte der Forstaufseher. Er ging zum Feuer und trat es aus.
Aliena und Richard schwangen sich auf ihre gesattelten Pferde. Der Jagdpfleger trat hinzu und sagte: »Gebt mir die Zügel.« Aliena war nicht sicher, was er vorhatte, gab ihm aber die Zügel, und Richard tat es ihr nach. Der Mann machte sich auf den Weg durch den Wald und führte die beiden Pferde. Aliena hätte lieber die Zügel selbst in der Hand behalten, aber sie ließ ihn gewähren.
Der Weg war weiter, als er gesagt hatte. Es war bereits dunkel, und sie hatten drei oder vier Meilen zurückgelegt, bevor sie einen Feldrain erreichten, an dessen Rand ein kleines strohgedecktes Holzhaus stand. Durch die Fensterläden drangen Licht und Kochdünste, und Aliena stieg dankbar vom Pferd.
Die Frau des Jagdpflegers hatte die Pferde gehört und trat an die Tür. Der Mann sagte zu ihr: »Ein junger Lord und eine Lady, allein im Wald. Gib ihnen etwas zu trinken.« Er wandte sich an Aliena. »Geht schon hinein. Ich kümmere mich um die Pferde.«
Aliena behagte sein gebieterischer Tonfall nicht – sie war es gewohnt, selbst die Befehle zu geben –, aber sie hatte nicht das geringste Verlangen danach, ihr Pferd abzusatteln. Sie trat ein, und Richard folgte ihr. Das Haus war voller Rauch und dumpfer Gerüche, aber warm. In einer Ecke war eine Kuh angebunden. Aliena war froh, dass der Mann das Nebengebäude erwähnt hatte: Sie hatte noch nie mit Vieh in einem Raum geschlafen. Auf dem Feuer blubberte ein Topf. Sie setzten sich auf eine Bank, und die Frau reichte beiden eine Schale Suppe, die nach Wild schmeckte. Als die Frau Richards Gesicht im Licht sah, erschrak sie. »Was ist Euch zugestoßen?«, fragte sie.
Richard setzte zu einer Antwort an, aber Aliena kam ihm zuvor.
»Uns sind etliche Missgeschicke widerfahren«, sagte sie. »Wir sind auf dem Weg zum König.«
»Ich verstehe«, sagte die Frau. Sie war klein, hatte einen bräunlichen Teint und machte den Eindruck, als sei sie ständig auf der Hut. Sie stellte keine weiteren Fragen.
Aliena aß ihre Suppe auf und wollte mehr. Sie hielt der Frau die Schale hin, doch die sah weg. Aliena war verwirrt. Wusste die Frau nicht, was sie
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