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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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weinen, denn das Kleid war zwar alt, aber ihr einziges und jetzt über und über mit blutrotem Kirschsaft besudelt. Das machte sie so unbeschreiblich traurig, dass sie erwachte und erleichtert feststellte, dass sie ja nur geträumt hatte, wenngleich die Wirklichkeit – die Tatsache, dass sie heimat- und mittellos war – weitaus schlimmer war als ein Traum, in dem sie mit weichen Kirschen beworfen wurde.
    Da stahl sich auch schon das Morgengrauen durch die Ritzen der Herberge. Um sie herum erwachten die anderen Schlafgäste und erhoben sich. Bald darauf kamen die Mönche herein, öffneten Türen und Fensterläden und riefen zum Frühstück.
    Aliena und Richard schlangen es hastig herunter und begaben sich zu Megs Haus, wo sie bereits erwartet wurden. Meg hatte einen würzigen Rindfleischeintopf gekocht, den ihr Mann nur noch aufwärmen musste, und Aliena forderte Richard auf, den schweren Topf für Meg zu tragen, wobei sie wünschte, sie hätte selbst etwas für ihren Vater. Das war ihr bisher nicht in den Sinn gekommen, aber selbst dann hätte sie nichts für ihn kaufen können. Der Gedanke, dass sie nichts für ihn tun konnten, war kaum erträglich.
    Sie gingen die High Street hinauf, betraten die Burg durch die Hinterpforte, passierten den Wohnturm und kamen zum Gefängnis. Aliena fiel wieder ein, was Odo ihr gestern, als sie sich nach ihrem Vater erkundigte, gesagt hatte: »Er liegt im Sterben.« Sie hatte angenommen, dass er aus purer Grausamkeit übertrieb, aber nun war sie doch besorgt und fragte Meg: »Mit meinem Vater ist doch alles in Ordnung, oder?«
    »Das weiß ich nicht, meine Liebe«, sagte Meg. »Ich habe ihn noch nie zu Gesicht bekommen.«
    »Der Aufseher sagte, er läge im Sterben.«
    »Dieser Mann ist hundsgemein. Wahrscheinlich hat er das nur gesagt, um euch zu quälen. Aber gleich werdet ihr euch ja selbst ein Bild machen können.«
    Megs tröstliche Worte konnten Aliena nicht beruhigen, sodass sie sich auf das Schlimmste gefasst machte, als sie in die übelriechende Düsternis des Gefängnisses trat.
    Odo wärmte gerade seine Hände über dem Feuer in der Mitte der Eingangshalle. Er nickte Meg zu und sah dann Aliena an. »Hast du das Geld?«, fragte er.
    »Ich zahle für sie«, sagte Meg. »Hier hast du deine zwei Pennys, einen für mich und einen für sie.«
    Ein verschlagener Blick huschte über Odos dümmliche Visage, und er sagte: »Das macht zwei Pennys für die beiden – für jeden einen.«
    »Sei nicht so stur«, sagte Meg. »Wenn du nicht beide einlässt, schwärze ich dich bei der Kaufmannsgilde an, und du wirst deinen Posten verlieren.«
    »Schon gut, schon gut, du brauchst mir nicht zu drohen«, grunzte er und wies auf einen Torbogen in der Mauer zu seiner Rechten. »Bartholomäus ist da drin.«
    »Ihr braucht ein Licht«, sagte Meg. Sie zog zwei Kerzen aus der Tasche ihres Umhangs, entzündete sie am Feuer und reichte Aliena eine davon. Sie wirkte beunruhigt. »Hoffentlich geht alles gut«, sagte sie und gab Aliena einen Kuss. Dann verschwand sie rasch unter dem zweiten Torbogen.
    »Vielen Dank für den Penny«, rief Aliena ihr nach, doch Meg war bereits in der Dunkelheit verschwunden.
    Aliena lugte ängstlich in die Dunkelheit, die Odo ihnen gewiesen hatte. Mit hoch erhobener Kerze schritt sie durch den Torbogen und fand sich in einem winzigen, quadratischen Flur wieder. Im Kerzenlicht machte sie drei schwere, von außen durch je einen Querbalken verriegelte Türen aus. Odo rief: »Genau vor euch.«
    Aliena sagte: »Heb den Riegel hoch, Richard.«
    Richard hob das schwere Querholz aus der Halterung und lehnte sich gegen die Wand. Aliena stieß die Tür auf und schickte rasch ein Stoßgebet gen Himmel. In der Zelle war es stockdunkel. Zögernd blieb Aliena mit ihrer Kerze in der Tür stehen und starrte auf die unruhigen Schatten. Die ganze Zelle stank wie ein Abort. »Wer da?«, kam es aus dem Dunkel. »Vater?«, fragte Aliena. Dann sah sie eine dunkle Gestalt auf dem strohbedeckten Boden sitzen.
    »Aliena?« Es klang ungläubig. »Bist du es, Aliena?« Die Stimme ihres Vaters, nur älter.
    Sie trat näher und hielt die Kerze hoch. Er sah zu ihr auf, der Kerzenschein fiel auf sein Gesicht – und Aliena stockte der Atem vor Entsetzen. Er war kaum wiederzuerkennen.
    Er war schon immer dünn gewesen, aber jetzt sah er aus wie ein Skelett .
    Er starrte vor Dreck, und seine Kleider waren zu Lumpen zerfallen. »Aliena!«, sagte er. »Du bist es wirklich!« Sein Gesicht verzog sich

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