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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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König, »bilden meine rechte Flanke.«
    William erkannte erneut, wie sinnvoll Stephans Anordnung war: Die mehrheitlich berittenen Grafen und Ritter sahen sich Robert von Gloucester und seinen verbündeten ›entrechteten‹ Adligen gegenüber, die großenteils ebenfalls beritten sein würden. Dennoch fühlte er sich enttäuscht, dass er nicht zusammen mit den Grafen aufgestellt worden war. Der König hatte ihn doch nicht vergessen, oder?
    »Ich werde zu Fuß gemeinsam mit der Infanterie die Mitte halten«, verkündete Stephan.
    Zum ersten Mal war William nicht mit seiner Entscheidung einverstanden. Seiner Meinung nach war es stets besser, so lange wie möglich im Sattel zu bleiben. Aber Ranulf, der Anführer der feindlichen Streitmacht, war angeblich zu Fuß, und Stephans überspannter Sinn für Gerechtigkeit zwang ihn dazu, seinem Feind ebenbürtig gegenüberzutreten.
    »An meiner Seite in der Mitte will ich William von Shiring mit seinen Mannen haben«, sagte der König.
    William wusste nicht, ob er sich freuen oder entsetzt sein sollte. Auserwählt zu sein, an der Seite des Königs zu kämpfen, war eine große Ehre – Mutter wäre sicherlich hocherfreut –, setzte ihn aber auch höchster Gefährdung aus. Schlimmer war jedoch, dass er zu Fuß kämpfen musste. Und um das Maß vollzumachen, würde der König ihn beobachten und seine Leistung aus unmittelbarer Nähe begutachten können. Er musste einen furchtlosen Eindruck erwecken und auf den Feind zugehen, während seine bevorzugte Taktik sonst darin bestand, einen großen Bogen um jede brenzlige Situation zu machen und nur zu kämpfen, wenn es absolut nicht mehr zu umgehen war.
    »Die treuen Bürger von Lincoln werden die Nachhut bilden«, verkündete Stephan. Diese Entscheidung zeugte sowohl von Rücksichtnahme als auch militärischem Geschick. Die Stadtbewohner waren nirgendwo von großem Nutzen, doch wenn sie im hinteren Glied blieben, konnten sie kaum einen Schaden anrichten und würden auch keine hohen Verluste zu beklagen haben.
    William hisste das Banner des Grafen von Shiring – auch dies eine Idee seiner Mutter. Streng genommen hatte er kein Recht darauf, denn er war nicht der Graf; aber seine Leute waren es gewohnt, dem Banner von Shiring zu folgen – so oder ähnlich wollte er jedenfalls argumentieren, sprach man ihn darauf an. Und wenn sie die Schlacht gewönnen, war er am Ende dieses Tages vielleicht tatsächlich Graf von Shiring …
    Seine Männer scharten sich um ihn. Walter war wie stets an seiner Seite, zuverlässig wie ein Fels in der Brandung. Das Gleiche galt für Ugly Gervase, Hugh Axe und Miles Dice. Der im Steinbruch ums Leben gekommene Gilbert war durch Guillaume de St. Clair ersetzt worden, einen jungen Mann mit frischem Gesicht und einer Neigung zur Grausamkeit.
    William sah sich um – und geriet in hellen Zorn beim Anblick Richards von Kingsbridge, der schimmerndes neues Panzerzeug trug und auf einem herrlichen Schlachtross saß. Er gehörte zur Truppe des Grafen von Surrey. Zwar hatte er dem König keine Armee zugeführt wie William, wirkte jedoch ungemein imposant – unverbraucht, kraftvoll und tapfer –, und sollten ihm heute irgendwelche Heldentaten gelingen, konnte er durchaus die Gunst des Königs gewinnen. Schlachten waren unberechenbar, und Könige nicht minder.
    Vielleicht würde Richard aber auch fallen. Das wäre ein echter Glücksfall! Nach Richards Tod gelüstete William mehr, als ihn je nach einer Frau gelüstet hatte.
    Er hielt Ausschau gen Westen. Der Feind war näher gerückt.
    Philip stand auf dem Dach der Kathedrale, und unter ihm lag, ausgebreitet wie auf einer Landkarte, die Stadt Lincoln. Der Dom war unmittelbar von der Altstadt mit ihren geraden Straßen und ihren ordentlichen Gärten umgeben, die Burg nahm den ganzen Südwesten ein. In den neueren Stadtteilen auf der nach Süden hin steil abfallenden Hangseite zwischen Altstadt und Fluss, ansonsten von reger Betriebsamkeit erfüllt, herrschte heute ängstliche Stille, die sich wie ein Leichentuch über die Stadt gesenkt hatte. Die Leute standen auf ihren Hausdächern, um von dort aus die Schlacht zu verfolgen. Der Fluss kam von Osten, schlängelte sich am Fuße des Hügels entlang und weitete sich dann zu einem Brayfield Pool genannten, großen natürlichen Hafen, der von Kaianlagen gesäumt war und in dem es von Schiffen und Booten nur so wimmelte. Ein Kanal, der sogenannte Fosdyke, verlief von Brayfield Pool aus in westlicher Richtung – bis hin

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