Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Holzbau im Dorf, der älter war als die Priorei. Ellen hatte sich seit damals nichts zuschulden kommen lassen und Philip keinerlei Anlass gegeben, seine Entscheidung zu bereuen. Dennoch fühlte er sich in ihrer Gegenwart nicht wohl in seiner Haut.
Tom fragte sie: »Von wie vielen Männern wirst du geliebt?«
Sie biss ein winziges Bröckchen Brot ab, was allgemeine Heiterkeit hervorrief. Alle Fragen in diesem Spiel neigten zur Zweideutigkeit, und Philip wusste, dass es nur seiner Anwesenheit zu verdanken war, wenn sie nicht ins Obszöne abglitten.
Ellen zählte drei Körner, und Tom mimte Entrüstung. »Ich will euch sagen, wer meine drei Liebsten sind«, erklärte Ellen, und Philip hoffte, ihre Antwort fiele nicht anstößig aus. »Der erste ist Tom. Der zweite ist Jack. Und der dritte ist Alfred.«
Man spendete ihrer Geistesgegenwart Beifall, und das Brot wurde weitergereicht. Als Nächste war Toms Tochter Martha an der Reihe. Sie war zwölf Jahre alt und schüchtern. Das Brot sagte ihr drei Ehemänner voraus, was höchst unwahrscheinlich schien.
Martha reichte das Brot an Jack weiter, und Philip erkannte an ihrem verehrungsvollen Blick, dass sie ihren Stiefbruder wie einen Helden anhimmelte.
Jack war Philip ein Rätsel. Als Kind war er mit seinem karottenroten Haar, der bleichen Haut und den hervorstehenden blauen Augen geradezu hässlich gewesen, doch nun, da er zum jungen Mann herangewachsen, hatten sich seine Züge sozusagen harmonisch gefunden und waren so ansprechend, dass Fremde sich nach ihm umdrehten und ihn anstarrten. Ansonsten besaß er das gleiche Ungestüm wie seine Mutter, hielt wenig von Disziplin, und Gehorsam war für ihn ein Fremdwort. Zum Steinmetzgehilfen hatte er sich nicht geeignet: Statt für regelmäßigen Nachschub an Mörtel und Steinen zu sorgen, hatte er versucht, einen ganzen Tagesvorrat anzuhäufen, und war dann fortgegangen, um etwas anderes zu tun. Er war ständig verschwunden. Eines Tages hatte er entschieden, keiner der vorhandenen Quader eigne sich für eine bestimmte Steinmetzarbeit, die er vorhatte, war daraufhin, ohne irgendwem Bescheid zu sagen, bis zum Steinbruch gelaufen, hatte sich den richtigen Stein ausgesucht und war damit zwei Tage später auf einem geliehenen Pony zurückgekehrt. Doch seine Eigenmächtigkeiten wurden ihm immer wieder nachgesehen, einmal seiner außerordentlichen Begabung zum Steinmetz wegen, zum anderen wegen seiner liebenswerten Natur – eine Eigenschaft, die er nach Philips Meinung ganz gewiss nicht von seiner Mutter geerbt hatte. Philip machte sich mitunter Gedanken darüber, was Jack wohl mit seinem Leben anfangen wollte. Wenn er sich Mutter Kirche anvertraute, könnte er es leicht zum Bischof bringen.
Martha fragte Jack: »Wie viele Jahre dauert es noch, bis du heiratest?«
Jack biss nur ein kleines Stück ab: Er schien darauf bedacht zu sein, möglichst bald zu heiraten. Philip fragte sich, ob er ein bestimmtes Mädchen im Sinn hatte. Jacks sichtliche Empörung zeigte, dass er den ganzen Mund voll Kerne hatte, und als sie gezählt wurden, malte sich pure Ablehnung auf seinem Gesicht. Die Endsumme lautete einunddreißig. »Aber dann bin ich ja schon achtundvierzig!«, protestierte er. Das löste bei allen Anwesenden Heiterkeit aus, mit Ausnahme von Philip: Er hatte nachgerechnet, das Ergebnis für richtig gefunden und wunderte sich nun, wie flink Jack zu dem Ergebnis gekommen war. Selbst Milius, der Kämmerer, konnte nicht so schnell rechnen!
Jack saß neben Aliena. Philip fiel ein, dass er die beiden in diesem Sommer häufig zusammen gesehen hatte. Vielleicht deshalb, weil sie beide so gescheit waren. In Kingsbridge gab es kaum Leute, die Aliena das Wasser reichen konnten; und Jack war, im Gegensatz zu den anderen Lehrlingen, trotz all seiner Widerborstigkeit, seinen Jahren weit voraus. Dennoch gab ihre Freundschaft Philip Rätsel auf, denn in ihrem jugendlichen Alter machten fünf Jahre eine Menge aus.
Jack reichte Aliena das Brot und stellte ihr die gleiche Frage: »Wie viele Jahre, bis Ihr heiratet?«
Alles stöhnte und murrte: Dieselbe Frage noch einmal zu stellen war zu simpel, das Spiel sollte schließlich für Witz und Spott sorgen. Doch Aliena, berüchtigt für die Zahl ihrer abgewiesenen Bewerber, brachte alle wieder zum Lachen, indem sie einen Riesenbatzen Brot abbiss und damit zu erkennen gab, dass sie gar nicht daran dachte, zu heiraten. Aber ihre Rechnung ging nicht auf: Sie spuckte einen einzigen Samenkern aus.
Wenn
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