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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Suger in Saint-Denis eine neue Kirche bauen ließ. Und wo immer er, um sich ein wenig Geld zu verdienen, ein paar Tage lang arbeitete – überall hatte man ihm von Saint-Denis erzählt. Anscheinend kombinierten die Steinmetzen dort bereits die neuen Techniken, errichteten also sowohl Rippengewölbe als auch Spitzbogen, und erreichten damit erstaunliche Effekte.
    Über eine Stunde lang ritt er an Feldern und Weingärten vorbei. Die Straße war ungepflastert, aber mit Meilensteinen gekennzeichnet. Sie führte über den Hügel von Montmartre, auf dem die Ruinen eines römischen Tempels standen, und mitten durch das Dörfchen Clignancourt. Drei Meilen weiter erreichte er die Stadtmauer von Saint-Denis.
    Der heilige Dionysius war der erste Bischof von Paris gewesen. Nach seiner Enthauptung auf dem Montmartre hatte er seinen abgeschlagenen Kopf in die Hände genommen und ihn mehrere Meilen weit getragen, bis er schließlich tot umfiel. Eine fromme Frau hatte ihn dort begraben, und über seiner Grabstätte war ein Kloster errichtet worden. Die dazugehörige Kirche war die letzte Ruhestätte der Könige von Frankreich. Suger, der gegenwärtige Abt, war ein mächtiger und ehrgeiziger Mann, der das Kloster reformiert hatte und nun dabei war, die Kirche umzugestalten.
    Auf dem Marktplatz von Saint-Denis zügelte Jack sein Pferd und betrachtete die Westfassade der Kirche. Von umwälzenden Neuerungen war hier nichts zu spüren: Es war eine schlichtweg altmodische Kirche mit Zwillingstürmen und drei Rundbogenportalen. Die aggressiv vorstehenden Torpfeiler gefielen ihm nicht schlecht, doch wäre Jack um ihretwillen keine fünf Meilen weit geritten.
    Er band sein Pferd an einen Balken und trat näher. Die Skulpturen an den drei Portalen verrieten gute Steinmetzarbeit – lebensechte Figuren, sorgfältig gemeißelt. Jack betrat die Kirche.
    Drinnen sah es ganz anders aus. Vor dem eigentlichen Mittelschiff befand sich eine niedrige, Narthex genannte Vorhalle. Als er den Blick zur Decke wandte, erfasste ihn Erregung: Die Baumeister hatten tatsächlich ein Rippengewölbe mit Spitzbogen kombiniert – und sie passten, wie Jack blitzartig erkannte, hervorragend zusammen: Die Anmut der Spitzbogen wurde durch die anschließenden Rippen zusätzlich betont.
    Aber es gab noch mehr Neuheiten zu sehen. Statt der üblichen Mischung aus Mörtel und Bruchsteinen hatte der Baumeister zur Füllung der Räume zwischen den Rippen zugeschnittene Steine verwendet. Der Vorteil lag darin, dass die Steinschicht – da sie stärker war als das herkömmliche Material – dünner und damit auch leichter sein konnte.
    Obwohl ihm allmählich der Nacken wehtat, starrte Jack unverdrossen in die Höhe, bis er Klarheit über einen weiteren bemerkenswerten Vorzug der neuen Bauweise gewonnen hatte: Die Spitzbogen konnten unterschiedliche Weiten besitzen und dennoch die gleiche Höhe erreichen – man brauchte nichts weiter zu tun, als die Rundung des Bogens entsprechend anzupassen, zu überhöhen. Der Gesamteindruck, der dadurch entstand, war von einer Regelmäßigkeit, die mit Rundbogen nie zu erreichen war, musste doch die Höhe eines halbkreisförmigen Bogens zwangsläufig der Hälfte seiner Breite entsprechen. Ein weiter Rundbogen musste also sehr viel höher sein als ein schmaler. Das bedeutete, dass in einem rechteckigen Bauabschnitt oder Joch die schmalen Rundbogen, wenn sie die gleiche Höhe erreichten und die Decke gerade sein sollte, höher ansetzen mussten als die weiten. Die neue Lösung beseitigte dieses Problem.
    Jack senkte den Kopf und verschaffte seinem schmerzenden Nacken Erleichterung. Ihm war, als wäre er gerade zum König gekrönt worden. Nach diesem Vorbild, dachte er, werde ich meine Kathedrale auch bauen!
    Er wandte sich dem eigentlichen Kirchenraum zu. Das Hauptschiff war zwar ziemlich lang und breit, aber erkennbar alt und mit Gewissheit von einem anderen als dem derzeitigen Baumeister errichtet. In der Vierung allerdings befanden sich Stufen, die zur Krypta und zu den königlichen Grabstätten hinabführten.
    Auch zum Altar führte eine kleine Treppe hinauf, wodurch der Eindruck entstand, als schwebe der Altarraum ein Stückchen über dem Boden. Die Bauweise war von Jacks Standort aus nicht genau zu erkennen, da ihn das durch die Ostfenster hereinströmende Sonnenlicht blendete. Es war so grell, dass er vermutete, die Außenmauer sei noch nicht vollendet und lasse daher so viel Licht ein.
    Jack schritt das südliche Seitenschiff

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