Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
merk dir, es liegt am Krieg, nicht am schlechten Wetter«, sagte er.
»Ich hoffe nur«, erwiderte Jonathan mit dem Feuer der Jugend, »dass man in der Hölle einen besonderen Platz für alle die Grafen und Könige bereithält, die so viel Elend heraufbeschwören!«
»Das hoffe ich – Herr und alle Heiligen, was ist das denn?«
Eine seltsame Gestalt war aus dem Unterholz gebrochen und stürzte Hals über Kopf auf Philip zu, die Kleider in Lumpen, die Haare wirr, das Gesicht schwarz vor Schmutz. Der arme Kerl, dachte Philip. Wahrscheinlich hat er einen wütenden Eber oder einen entkommenen Bären aufgestört und rennt nun um sein Leben.
Da war der Mann auch schon bei ihnen und stürzte sich auf Philip; und der war so überrascht, dass er vom Pferd fiel.
Sofort war der Angreifer über ihm. Er stank wie die Pest und gab grunzende Geräusche von sich wie ein wildes Tier. Der Mann schien es auf das Ledersäckchen abgesehen zu haben, das Philip an einem Riemen über die Schulter gehängt hatte. In dem Säckchen befand sich nichts weiter als ein Buch, Das Hohelied Salomons. Philip versuchte verzweifelt, sich zu befreien – nicht, weil ihm das Buch besonders ans Herz gewachsen war, sondern weil der Räuber so abstoßend stank. Am Rande bekam er noch mit, dass sein Pferd durchgegangen war.
Und dann war plötzlich Richard da und riss den Räuber von ihm weg. Philip setzte sich auf, kam aber noch nicht wieder auf die Füße. Er war völlig außer Atem und fühlte sich schwach. In tiefen Zügen sog er die frische Luft ein, froh darüber, der ungesunden Nähe des Räubers entkommen zu sein. Er tastete seinen Körper ab. Gebrochen war glücklicherweise nichts.
Richard hatte den Räuber zu Boden geworfen und stand nun über ihm, einen Fuß zwischen den Schulterblättern des Mannes, die Schwertspitze bedrohlich nahe an dessen Hals. Jonathan hielt die beiden verbliebenen Pferde am Zügel und schaute verwirrt von einem zum anderen.
Philip rappelte sich mühsam wieder auf. In Jonathans Alter, dachte er, hätte ich nach so einem Sturz sofort wieder aufsitzen können.
»Passt auf diese Wanze auf, seid so gut«, sagte Richard. »Ich fange unterdessen Euer Pferd wieder ein.« Er hielt Philip sein Schwert hin.
»Danke«, sagte Philip und schob das Schwert beiseite. »Das brauche ich nicht.«
Nach kurzem Zögern steckte Richard es wieder in die Scheide. Der Räuber rührte sich nicht vom Fleck. Die nackten Beine waren dürr wie trockene Äste und von der gleichen Farbe; Schuhe trug er keine. Philip war nie ernstlich in Gefahr gewesen – diese arme Kreatur besaß nicht einmal die Kraft, einer Henne den Hals umzudrehen.
Als der Räuber sah, wie Richard sich entfernte, spannte sich sein Körper an. Philip, der erkannte, dass der Mann einen Fluchtversuch machen wollte, fragte ihn: »Willst du etwas zu essen haben?«
Der Mann hob den Kopf. Sein Blick schien zu sagen: Der ist wohl nicht ganz bei Trost!
Philip ging zu Jonathans Pferd, nahm einen Laib Brot aus der Satteltasche, brach’s und bot dem Räuber die Hälfte an. Der Mann grapschte danach und stopfte sich umgehend den Mund voll.
Philip setzte sich auf die Erde und sah ihm zu. Der Räuber fraß wie ein ausgehungertes Tier, als befürchte er, das Brot könne ihm schon im nächsten Moment wieder entrissen werden. Philip hatte ihn anfangs für einen alten Mann gehalten, doch nun, bei näherem Hinsehen, wurde ihm klar, dass er allenfalls fünfundzwanzig Jahre alt war.
Richard, der mit Philips Pferd am Zügel zurückkam, reagierte unwirsch, als er den Räuber essen sah. »Wieso habt Ihr ihm unser Essen gegeben?«, fragte er den Prior.
»Weil er kurz vor dem Verhungern ist.«
Richard antwortete darauf nicht, doch seine Miene verriet, dass er alle Mönche für übergeschnappt hielt.
Nachdem der Räuber das Brot verschlungen hatte, fragte Philip ihn nach seinem Namen. Der Mann zögerte. Wahrscheinlich hat er schon lange nicht mehr mit einem anderen Menschen gesprochen, dachte Philip. Endlich kam die Antwort: »David.«
»Was ist dir widerfahren, David?«
»Nach der letzten Ernte hat man mir meinen Hof genommen.«
»Wer war dein Gutsherr?«
»Der Graf von Shiring.«
William Hamleigh also, dachte Philip. Darauf hätte ich auch von selbst kommen können.
Nach drei aufeinanderfolgenden schlechten Ernten hatten Tausende von Hofpächtern ihre Pacht nicht mehr zahlen können. Auch vielen von Philips Pächtern erging es nicht besser, und so erließ er ihnen die Pacht aus der
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