Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Euch vielmals«, sagte sie mit tränenfeuchten Augen. »Ranulf hätte mich einfach weitergetrieben – er hört nie auf das, was ich sage.«
»Schon gut«, gab Aliena zurück. »Diese bulligen, starken Kerle sind im Grunde genommen bloß Feiglinge.« Sie sah Elisabeth jetzt aus der Nähe und erkannte erschrocken, dass das bedauernswerte Kind ihr ähnlich sah. Williams Ehefrau zu sein war an sich schon ein arges Los, aber zeitlebens mit dem Makel der zweiten Wahl behaftet – das war gewiss die Hölle auf Erden!
»Ich bin Elisabeth von Shiring«, stellte sich das Kind vor. »Und wer seid Ihr?«
»Ich heiße Aliena und komme aus Kingsbridge.« Aliena hielt unwillkürlich den Atem an. Ob Elisabeth den Namen erkannte und mit der Frau in Verbindung brachte, die William Hamleigh einst zurückgewiesen hatte?
Aber die Gräfin war zu jung, um sich an den Skandal zu erinnern, und sagte nur: »Was für ein ungewöhnlicher Name.«
Aus dem zweiten Zimmer kam eine nachlässig gekleidete Frau mit einem gewöhnlichen Gesicht und nackten, fleischigen Armen. Mit trotziger Miene bot sie ihnen einen Becher Wein an. Aliena vermutete, dass sie das Weib des Priesters war, der sie vermutlich – da die Kirche Priesterehen verbot – als seine Haushälterin bezeichnen würde. Das Verbot brachte der Kirche nichts als Scherereien ein. Zwang sie die Männer, ihre Frauen fortzuschicken, so empfand man dies als herzlos und schimpfte über die Kirche. Und obwohl die meisten von ihren Schäfchen der Meinung waren, Geistliche hätten enthaltsam zu leben, drückten doch viele in Fällen, da ihnen die Frau persönlich bekannt war, ein Auge zu. Notgedrungen stellte sich dann oft auch die Kirche blind und taub und nahm derartige Verbindungen hin. Aliena dachte unwillkürlich: Du hast allen Grund zur Dankbarkeit, Weib – denn wenigstens darfst du mit deinem Mann zusammenleben …
Nun kamen der Leibwächter und der Fuhrknecht herein, beide von Kopf bis Fuß durchnässt. Ranulf baute sich vor Elisabeth auf und sagte: »Wir können nicht bleiben.«
Zu Alienas Verblüffung gab Elisabeth sofort nach. »Na schön«, sagte sie und stand auf.
»Setzt Euch wieder«, sagte Aliena und zog sie auf ihren Stuhl zurück. Dann richtete sie sich auf und fuchtelte dem Mann mit dem Finger vor der Nase herum: »Wenn ich noch ein Wort von dir höre, dann rufe ich die Dorfbewohner zusammen! Die wissen, im Gegensatz zu dir, genau, wie sie ihre Herrin zu behandeln haben.«
Ranulf wog seine Chancen, und man sah es ihm an: Im Ernstfall konnte er es wohl mit der Gräfin, Aliena, dem Fuhrknecht und dem Priester aufnehmen – mischte sich aber nur ein Dörfler ein, so wäre der Ausgang ungewiss.
»Vielleicht würde es die Gräfin vorziehen, weiterzureiten«, sagte er schließlich und sah Elisabeth herausfordernd an.
Das Mädchen war vollkommen verängstigt, und Aliena meinte: »Nun, Euer Gnaden – Ranulf bittet untertänigst, ihm Eure Wünsche mitteilen zu wollen.«
Elisabeth wandte ihr stumm den Blick zu.
»Teilt ihm einfach Eure Wünsche mit«, sagte Aliena aufmunternd. »Er muss Euch schließlich gehorchen.«
Alienas feste Haltung schien Elisabeth Mut einzuflößen. Sie holte tief Luft und sagte: »Wir bleiben hier. Geh und sieh nach den Pferden, Ranulf.«
Da fügte sich ihr störrischer Leibwächter mit einem merkwürdigen Grunzlaut und ging hinaus. Elisabeth sah ihm mit einem Ausdruck reinsten Erstaunens hinterher.
»Das schifft vielleicht!«, bemerkte der Fuhrknecht.
Der Geistliche runzelte die Stirn ob der vulgären Rede. »Ich bin sicher, dass es sich nur um ganz gewöhnlichen Regen handelt«, sagte er im Tonfall eines Tugendbolds, und Aliena musste unwillkürlich lachen. Sogar Elisabeth stimmte in ihr Gelächter ein. Aliena hatte das Gefühl, dass das Mädchen nur sehr selten lachte.
Das Geräusch des fallenden Regens wurde zu lautem Trommeln. Aliena warf einen Blick durch die offene Tür. Die nur ein paar Schritt entfernte Kirche war durch den Regenvorhang kaum noch zu sehen.
»Hast du die Fuhre gut abgedeckt?«, fragte Aliena ihren Knecht.
Der Mann nickte. »Die Tiere auch.«
»Gut. Ich will nicht, dass mein Garn filzig wird.«
Ranulf kam wieder herein, von oben bis unten klatschnass.
Ein Blitz zuckte über den Himmel, gefolgt von langanhaltendem Donnergrollen. »Das wird den Feldern gar nicht gut tun«, bemerkte der Priester kummervoll.
Er hat recht, dachte Aliena. Wir brauchten eigentlich dringend drei Wochen Sonne und Wärme.
Wieder
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