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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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blitzte es, gefolgt von noch längerem Donnergetöse, und eine heftige Bö erschütterte das Holzhaus. Aliena spürte etwas Kaltes auf ihrem Kopf. Als sie aufblickte, sah sie das Regenwasser aus dem Strohdach heruntertropfen. Sie rückte beiseite. Der Wind trieb den Regen auch zur Tür herein, aber niemand traf Anstalten, sie zu schließen – Aliena war offenbar nicht die Einzige, die sich das Unwetter ansehen wollte.
    Elisabeths Gesicht war kreideweiß. Aliena legte ihren Arm um das Mädchen, das heftig zitterte, obwohl es gar nicht kalt war.
    »Ich hab solche Angst«, flüsterte Elisabeth.
    Plötzlich wurde es draußen finster – und das, obwohl gerade Mittagszeit war. Aliena stand auf und trat an die Tür. Der Himmel war grau wie Stahl. Sie hatte noch nie ein solches Wetter mitten im Sommer erlebt. Der Wind kam in heftigen Böen. Ein weiterer Blitz erhellte eine Reihe von Gegenständen, die vor der Tür vorbeitrieben: eine Decke, einen kleinen Busch, eine hölzerne Schüssel, ein leeres Fass.
    Stirnrunzelnd drehte sie sich um und nahm wieder Platz. Sie fing allmählich an, sich Sorgen zu machen, zumal das Haus schon wieder bebte und nun auch die Firststange in der Mitte des Raumes erzitterte. Dabei gehörte das Pfarrhaus noch zu den stabilsten in diesem Dorf; die ärmlicheren Hütten waren wohl schon ernsthaft gefährdet. Aliena wandte sich an den Priester. »Wenn’s noch schlimmer wird, müssen wir wohl die Dorfbewohner holen und mit ihnen in der Kirche Zuflucht suchen«, schlug sie vor.
    »Bei diesem Wetter bringt mich niemand vors Haus«, gab der Priester zurück und lachte kurz auf.
    Aliena starrte ihn ungläubig an. »Diese Leute sind Eure Herde, und Ihr seid ihr Hirte!«, erwiderte sie.
    Der Geistliche bedachte sie mit einem unverschämten Blick. »Wenn mir hier jemand etwas zu sagen hat, dann ist das der Bischof von Kingsbridge«, fuhr er sie an. »Ich lasse mich doch nicht von Euch zum Narren machen.«
    »So lasst wenigstens das Pfluggespann in Sicherheit bringen«, sagte Aliena. Das acht Ochsen zählende Gespann, das den Pflug zog, war in Dörfern dieser Größenordnung gemeinhin der kostbarste Besitz, denn ohne die Tiere konnte kein Bauer seine Felder bestellen. Das Pfluggespann war Gemeineigentum, denn kein Bauer konnte sich ein eigenes leisten. Aliena nahm daher an, der Priester wüsste wenigstens den Wert des Gespanns zu schätzen, hing doch sein eigenes Wohlergehen davon ab.
    »Wir haben kein Pfluggespann.«
    Damit hatte Aliena nicht gerechnet. »Wieso nicht?«
    »Vier Ochsen mussten wir verkaufen, um die Pacht zahlen zu können, und im Winter haben wir die anderen vier geschlachtet, damit wir zu essen hatten.«
    Deshalb also ist nur die Hälfte der Felder bestellt, dachte Aliena. Aus eigener Kraft oder mit Hilfe von Pferden hatten sie nur die leichteren Böden pflügen können. Geschichten wie diese regten Aliena maßlos auf. Nicht nur, dass es herzlos von William war, die Menschen zum Verkauf ihres Pfluggespanns zu zwingen – es war auch äußerst dumm, denn sie würden ja nun auch in diesem Jahr ihre Pacht kaum bezahlen können, selbst wenn das Wetter einigermaßen gut blieb. Aliena hätte William erwürgen können.
    Ein weiterer Windstoß erschütterte das Holzhaus. Dann schien sich plötzlich das Dach zu verschieben, hob sich mehrere Zoll breit von der Außenwand, und Aliena konnte durch den klaffenden Spalt den schwarzen Himmel und das Zucken der Blitze sehen. Sie sprang auf, doch da legte sich der Wind auch schon wieder, und das Strohdach knallte zurück auf seine Unterlage. Der Ernst der Lage war nicht mehr zu verkennen! Sie hob die Stimme, um das tosende Unwetter zu übertönen, und schrie dem Priester zu: »So geht wenigstens und öffnet das Kirchenportal!«
    Er fügte sich unwillig, holte den Kirchenschlüssel aus einem Kasten, hüllte sich in einen Umhang, verließ das Haus und war auch schon im Regen verschwunden. Aliena erteilte weitere Befehle: »Fuhrmann, du bringst die Ochsen mit der Fuhre in die Kirche. Ranulf, du holst die Pferde. Und Ihr kommt mit mir, Elisabeth.«
    Sie legten ihre Umhänge um und traten ins Freie. Hand in Hand, die Oberkörper gebeugt, stemmten sie sich gegen den Sturm. Aus dem Regen war jetzt Hagel geworden, und große Eiskörner prasselten auf die Grabsteine vor der Kirche nieder. In einem Winkel des Gottesackers stand ein Apfelbaum – kahl wie zur Winterzeit: Der Sturm hatte ihn sämtlicher Blätter und Früchte beraubt. Diesen Herbst wird es wohl

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