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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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geschlagen. Und jedes Werk von Menschenhand vernichtet. Bis auf die Kirchen.
    Elisabeth schien ihre Gedanken zu lesen. »Wie entsetzlich!«, flüsterte sie. »Ich kann’s nicht fassen! Nichts mehr da, gar nichts mehr.«
    Aliena nickte grimmig. »Gar nichts mehr«, wiederholte sie. »Dieses Jahr wird es keine Ernte geben.«
    »Was werden die Leute tun?«
    »Ich weiß es nicht.« Und getrieben von Furcht und Mitleid fügte Aliena hinzu: »Der nächste Winter wird grauenvoll.«
    +++
    Eines Morgens, vier Wochen nach dem Unwetter, bat Martha Jack um mehr Wirtschaftsgeld. Er war überrascht. Gab er nicht schon sechs Pence jede Woche? Und von Aliena bekam sie doch die gleiche Summe, oder? Damit kaufte sie Lebensmittel für vier Erwachsene und zwei Kinder und versorgte zwei Häuser mit Feuerholz und Binsen. Aber es gab andere, viel größere Familien in Kingsbridge, die mit sechs Pence in der Woche Nahrung, Kleidung und Miete bestreiten mussten. Jack fragte Martha nach dem Grund ihres Ansinnens.
    Die Frage war ihr peinlich. »Alles ist teurer geworden«, sagte sie. »Der Bäcker verlangt jetzt einen ganzen Penny für einen Vierpfünder, und …«
    »Einen ganzen Penny! Für einen Vierpfünder?«, rief Jack erbost. »Da bauen wir uns doch gleich selbst einen Ofen und backen unser eigenes Brot.«
    »Aber das tu ich ja manchmal schon – ich meine, ich backe das Brot in der Pfanne.«
    »Ja, ich weiß.« Jack erinnerte sich, dass er in der vergangenen Woche zwei-, dreimal selbst gebackenes Brot gegessen hatte.
    »Aber das Mehl ist auch teurer geworden«, sagte Martha, »deshalb kann ich damit nicht viel sparen.«
    »Wir sollten Weizen kaufen und ihn selber mahlen.«
    »Das ist verboten. Wir müssten ihn in der Mühle der Priorei mahlen lassen. Aber auch das würde nichts helfen, denn der Weizen ist genauso teuer geworden.«
    »Ja, natürlich.« Jack wurde klar, dass seine Vorschläge albern waren: Der Brotpreis war gestiegen, weil der Mehlpreis gestiegen war, und der Mehlpreis war gestiegen, weil der Weizenpreis gestiegen war, und der Weizen war deshalb so teuer, weil das Unwetter die gesamte Ernte vernichtet hatte – ein Kreislauf, dem nicht zu entkommen war. Wie bedrückt Martha aussah! Sie regte sich immer viel zu sehr auf, hatte immer Angst, er könne unzufrieden mit ihr sein. Um ihr zu zeigen, dass alles in Ordnung war, lächelte er sie an und tätschelte ihre Schulter. »Du kannst ja nichts dafür«, meinte er.
    »Aber es klingt, als wärst du böse.«
    »Nicht mit dir«, sagte er schuldbewusst, denn er wusste, dass Martha sich eher die rechte Hand abhacken ließe, als ihn zu betrügen. Er hatte keine Ahnung, weshalb sie so an ihm hing. Wenn sie mich liebt, dachte er, müsste sie eigentlich längst die Nase voll haben, denn inzwischen dürfte ihr und der ganzen Welt längst klar sein, dass die große Liebe meines Lebens Aliena heißt und ewig heißen wird. Er hatte sogar schon einmal erwogen, Martha aus dem Haus zu schicken, damit sie endlich einmal etwas anderes sah und sich vielleicht sogar in den Richtigen verliebte. Doch da er insgeheim ahnte, dass er Martha damit todunglücklich machen würde, ließ er alles, wie es war.
    Er griff nach seiner Börse und nahm drei Silberpennys heraus. »Dann ist es wohl am besten, wenn du zwölf Pence in der Woche bekommst. Sieh mal zu, wie du damit wirtschaften kannst«, sagte er. Zwölf Pence waren eine Menge Geld – genau die Hälfte seines wöchentlichen Verdienstes, wobei man allerdings berücksichtigen musste, dass er Kerzen, Stiefel und Kleidung gestellt bekam.
    Er trank sein Bier aus und machte sich auf den Weg. Es war ein ungewöhnlich kalter Frühherbst. Das Wetter spielte immer noch verrückt. Als Jack den Klosterhof betrat, war die Sonne noch nicht aufgegangen. Gerade eine Handvoll Handwerker hatte bereits die Arbeit aufgenommen. Jack ging durchs Mittelschiff und inspizierte die Grundmauern, die zum Glück schon beinahe fertig waren. Angesichts der kalten Witterung war damit zu rechnen, dass die Maurerarbeiten in diesem Jahr schon früh eingestellt werden mussten.
    Im neuen Querschiff waren am Tag nach dem schweren Unwetter neuerlich Risse zu erkennen gewesen. Sie nahmen Jack viel von der Freude an seiner Schöpfung. Gewiss, es war ein ganz außergewöhnliches Unwetter gewesen, doch eigentlich sollte seine Kirche Hunderte solcher Stürme aushalten können! Verwirrt schüttelte er den Kopf und stieg die Wendeltreppe zur Empore hinauf. Gerne hätte er sich mit einem

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