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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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niederschlug. Sie stürzte neben Philip zu Boden; aus ihrer Kopfwunde floss Blut. Der Bärtige hatte sein Schwert inzwischen umgedreht, sodass die Spitze nach unten zeigte. Er packte es mit beiden Händen und hob es hoch in die Luft, fast wie ein Mann, der sich selbst entleiben will, und ließ es dann mit aller Kraft niederfahren. Unter dem grauenvollen Geräusch brechender Knochen durchbohrte die Klinge Mamas Brust – und dies mit solcher Gewalt, dass sie (wie Philip trotz seiner alles verzehrenden Angst bemerkte) am Rücken wieder hervortrat und Mutters Körper buchstäblich am Boden festnagelte.
    Verzweifelt sah Philip sich wieder nach seinem Vater um. Er sah, wie Papa über dem Schwert des hässlichen Mannes zusammensackte und ein gewaltiger Blutschwall aus seinem Mund drang. Der Angreifer trat einen Schritt zurück und zerrte an seinem Schwert, doch Papa vollzog diese Bewegung unwillkürlich nach, sodass sich der Abstand zwischen ihnen nicht verringerte. Der hässliche Mann schrie wütend auf und drehte das noch immer in Papas Bauch steckende Schwert hin und her, bis er es schließlich frei bekam. Papa stürzte zu Boden, die Hände über dem offenen Unterleib verkrampft. Philip hatte immer geglaubt, die inneren Teile des Menschen seien mehr oder weniger fest, weshalb ihn der Anblick der hässlichen Schläuche und unförmigen Organe, die aus seinem Vater herausquollen, gleichermaßen verwunderte wie anekelte. Dann riss der Angreifer das Schwert beidhändig in die Höhe und beendete sein grausames Werk auf die gleiche Weise wie zuvor sein bärtiger Spießgeselle.
    Die beiden Engländer sahen einander an, und Philip bemerkte, sehr zu seiner Verblüffung, dass sich eine gewisse Erleichterung auf ihren Mienen abzeichnete. Dann drehten sie sich nach den beiden Kindern um. Der eine nickte, der andere zuckte mit den Schultern, und Philip war mit einem Male klar, dass sie nun auch ihn und seinen Bruder mit ihren scharfen Schwertern aufschlitzen wollten. Ihm ging auf, wie grauenvoll weh das tun würde, und die Todesangst, die von ihm Besitz ergriff, wollte ihm schier den Kopf zerspringen lassen.
    Der Mann mit dem blutverkrusteten Bart bückte sich plötzlich, packte Francis am Fußknöchel und riss ihn hoch. Der Kleine hing mit dem Kopf nach unten in der Luft und schrie nach seiner Mama; dass sie tot war, hatte er noch gar nicht begriffen. Der hässliche Mann zog sein Schwert aus Papas Körper, zielte mit der Spitze auf Francis’ Herz und holte aus.
    Der Todesstreich wurde nie ausgeführt. Eine befehlsgewohnte Stimme ertönte, und die beiden Männer erstarrten mitten in der Bewegung. Das Geschrei verstummte, und Philip merkte, dass er selbst es war, der geschrien hatte. In der Tür stand Abt Peter in seiner Kutte aus grober Wolle, und der Zorn des Herrn funkelte in seinen Augen. In seiner Hand hielt er ein hölzernes Kreuz wie ein Schwert.
    Wenn Philip in späteren Jahren in seinen Albträumen jenen Tag nachvollzog, wenn er des Nachts schreiend und in Schweiß gebadet aus dem Schlaf fuhr, dann gelang es ihm stets, sich wieder zu beruhigen, indem er sich jenes abschließende Bild ins Gedächtnis zurückrief: Ein unbewaffneter Mann mit einem Kreuz beendete das Schreien, machte die Wunden vergessen.
    Abt Peter hob die Stimme. Philip konnte nicht verstehen, was er sagte – der Abt sprach natürlich Englisch –, doch die Bedeutung seiner Worte war klar, denn die beiden Männer schämten sich offensichtlich, und der Bärtige setzte Francis behutsam wieder ab. Ohne in seiner Rede innezuhalten und ohne das geringste Zögern betrat der Abt die Wohnstube. Die beiden Bewaffneten traten einen Schritt zurück. Es sah fast so aus, als hätten sie Angst vor ihm – sie, die sie Rüstung und Schwert trugen, hatten Angst vor dem Abt in seiner wollenen Kutte, fürchteten das hölzerne Kreuz! Er wandte ihnen verächtlich den Rücken zu und ging in die Hocke, um mit Philip zu sprechen. Seine Stimme klang ganz ruhig.
    »Wie heißt du?«
    »Philip.«
    »Ach ja, ich erinnere mich. Und wie heißt dein Bruder?«
    »Francis.«
    »Ja, richtig.« Sein Blick fiel auf den blutenden Körper der Mutter. »Das ist deine Mama, oder?«
    »Ja«, antwortete Philip. Er deutete auf den übel zugerichteten Körper seines Vaters, und das Grauen sprang ihn an. »Das da drüben ist mein Papa.«
    »Ich weiß«, sagte der Mönch, und seine Stimme klang beruhigend. »Du brauchst jetzt nicht mehr zu schreien. Aber beantworte mir meine Fragen. Begreifst du,

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