Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Gottes sagt: ›Du sollst nicht ehebrechen.‹«
Jack ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen. »Ich bin sicher, Richard würde sich so ähnlich äußern. Schließlich hat ja nicht er die Rückerstattung der Güter befohlen. Er ist lediglich der Vollstrecker des Gesetzes.«
Die Mittagsglocke läutete.
»Die Gesetze Gottes und die der Menschen sind nicht die gleichen«, sagte Philip.
»Aber wir müssen uns an beide halten«, erwiderte Jack. »So, und nun werde ich mit der Mutter meiner Kinder zu Mittag essen.«
Er ließ den empörten Philip stehen und ging. Im Grunde warf er Philip gar keine Undankbarkeit vor – doch die gespielte Entrüstung erleichterte ihn. Was den Steinbruch betraf, so wollte er darüber mit Aliena sprechen. Vielleicht ließ sich Richard ja doch noch zu seiner Freigabe überreden.
Er verließ das Klostergebäude und ging durch die Stadt zu dem Haus, das er mit Martha teilte. Wie üblich waren Aliena und die Kinder in der Küche. Mit einer guten Ernte im vergangenen Sommer war die Hungersnot zu Ende gegangen. Das Angebot an Lebensmitteln war so üppig wie lange nicht mehr; Weißbrot und geröstetes Hammelfleisch standen auf dem Tisch.
Jack küsste seine Kinder. Sally erwiderte seinen Kuss auf sanfte, kindliche Art – Tom hingegen, inzwischen elf Jahre alt und darauf brennend, endlich erwachsen zu werden, hielt ihm nur peinlich berührt die Wange hin. Jack lächelte, sagte aber nichts; er konnte sich noch gut an das Alter erinnern, in dem er Küssen furchtbar albern gefunden hatte.
Aliena wirkte beunruhigt. Jack setzte sich neben sie auf die Bank und sagte: »Philip ist sehr erbost, weil Richard ihm den Steinbruch streitig macht.«
»Ja, das ist schlimm«, sagte Aliena leise. »Wie undankbar von Richard.«
»Glaubst du, man kann mit ihm noch mal darüber reden?«
»Das kann ich dir wirklich nicht sagen.«
»Das Problem scheint dich nicht besonders zu interessieren.«
Sie sah ihn herausfordernd an: »Da hast du allerdings recht.«
Er kannte diese Stimmung. »Was bedrückt dich?«, fragte er sie. »Willst du es mir nicht sagen?«
Aliena erhob sich. »Komm, wir gehen ins hintere Zimmer.«
Jack warf einen letzten verlangenden Blick auf die geröstete Hammelkeule. Dann stand auch er vom Tisch auf und folgte Aliena ins Schlafzimmer. Ihrer Gewohnheit entsprechend, ließen sie die Tür offen stehen, um bei unangemeldeten Besuchern keinen Verdacht zu erregen. Aliena saß auf dem Bett, die Arme vor der Brust verschränkt. »Ich habe einen wichtigen Entschluss gefasst«, begann sie.
Sie sah sehr ernst aus. Was, um Himmels willen, hat sie vor, dachte Jack.
»Mein Leben wird, seitdem ich erwachsen bin, von zwei Dingen überschattet: einmal von dem Versprechen, das ich meinem Vater gab, als er auf dem Sterbebett lag, und zum anderen von meinem Verhältnis zu dir.«
»Aber du hast das Versprechen, das du deinem Vater gabst, inzwischen doch erfüllt«, wandte Jack ein.
»Ja. Und nun möchte ich mich auch von der anderen Last befreien. Ich habe beschlossen, dich zu verlassen.«
Jack fühlte sich wie vom Schlag gerührt. Aliena sagte so etwas nicht aus Lust und Laune, das wusste er. Sie meinte es ernst. Er starrte sie sprachlos an. Nie im Traum wäre er auf die Idee gekommen, Aliena könne ihn verlassen. Er wusste nicht mehr ein noch aus. Warum wurde ihm so übel mitgespielt? Ein böser Verdacht kam ihm, und er sprach ihn sogleich aus: »Gibt es einen anderen?«
»Red keinen Unsinn!«
»Aber warum dann?«
»Weil ich es einfach nicht mehr aushalte«, sagte sie, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Seit zehn Jahren warten wir schon auf die Annullierung. Aber sie wird nie erfolgen, Jack. Wir sind dazu verdammt, ewig so weiterzuleben wie jetzt – es sei denn, wir trennen uns.«
»Aber …« Er rang nach Worten. Ihr Entschluss hatte ihn völlig überrumpelt. Jeder Widerspruch erschien ihm sinnlos, wie der Versuch, vor einem Sturm davonzulaufen. Dennoch versuchte er es: »So, wie wir jetzt leben – ist das denn nicht besser als getrennt?«
»Auf lange Sicht nicht.«
»Aber was wird sich denn ändern, wenn du fortziehst?«
»Vielleicht finde ich einen anderen«, sagte sie unter Tränen. »Ich kann ihn lieb gewinnen und dann endlich wieder ein normales Leben führen.«
»Deine Ehe mit Alfred bleibt weiterhin bestehen.«
»Aber woanders weiß das niemand. Ich kann mich von irgendeinem Dorfpriester trauen lassen, der von Alfred Builder noch nie etwas gehört hat – oder
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