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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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aber, wenn er von ihm gehört hätte, die Ehe für ungültig halten würde.«
    »Das bist nicht du, die so etwas sagt. Ich nehme dir das nicht ab.«
    »Zehn Jahre, Jack! Ich warte seit zehn Jahren darauf, endlich ein normales Leben an deiner Seite führen zu können. Ich bin nicht bereit, noch länger zu warten.«
    Ihre Worte trafen ihn wie Schläge. Sie sprach und sprach, aber er hörte ihr nicht länger zu, er war vollkommen beherrscht von dem Gedanken, forthin ohne Aliena leben zu müssen. Er unterbrach sie: »Ich habe niemals eine andere geliebt, weißt du …«
    Sie zuckte zusammen wie bei einem plötzlichen Schmerz, ließ sich in ihrer Rede aber nicht aufhalten. »Ich brauche noch ein paar Wochen Zeit für die Vorbereitungen. Ich werde versuchen, in Winchester ein Haus zu finden. Auch möchte ich die Kinder nicht unvorbereitet lassen. Sie sollen sich mit dem Gedanken vertraut machen, bevor ihr neues Leben beginnt …«
    »Du willst meine Kinder mitnehmen«, sagte Jack stumpf.
    Aliena nickte. »Es tut mir leid«, sagte sie, und zum ersten Mal klang es so, als zweifele sie an der Richtigkeit ihrer Entscheidung. »Ich weiß, dass sie dich vermissen werden. Aber auch sie müssen endlich ein normales Leben führen können.«
    Jack hatte genug. Er wandte sich zum Gehen.
    »Bitte lass mich jetzt nicht allein, Jack«, sagte Aliena. »Wir haben noch eine Menge miteinander zu besprechen … Jack!«
    Er ging, ohne ihr eine Antwort zu geben.
    Er hörte, wie sie hinter ihm herrief: »Jack!«
    Ohne die Kinder auch nur eines Blickes zu würdigen, durchquerte er die Stube und verließ das Haus. Er war ganz benommen und wusste nicht wohin, deshalb ging er in die Kathedrale. Die Maurer und Steinmetzen waren noch beim Mittagessen. Weinen konnte er nicht – mit einfachen Tränen war sein Kummer nicht zu bewältigen. Ohne Ziel und Absicht stieg er die Wendeltreppe im nördlichen Querschiff empor und kletterte aufs Dach.
    Unten war es fast windstill gewesen – hier oben, in luftiger Höhe, wehte eine steife Brise. Jack sah hinunter. Wenn ich springe, dachte er, lande ich auf dem schrägen Dach des Seitenschiffs, gleich neben dem Querhaus … Kaum anzunehmen, dass ich den Sturz überlebe, auszuschließen ist es aber nicht … Er ging vor bis zur Vierung, wo das Dach abrupt endete. Vor ihm gähnte der Abgrund. Die Konstruktion des Dachs ist nicht stabil, dachte er, und Aliena verlässt mich … Wofür lohnt es sich noch zu leben?
    So plötzlich, wie es den Anschein hatte, war ihr Entschluss freilich nicht gekommen. Ihre Unzufriedenheit war über die Jahre gewachsen – und nicht nur ihre, auch seine. Aber sie hatten sich beide an ihre unglückliche Lage gewöhnt. Nach der Zurückeroberung von Earlscastle war Aliena wie aus einer Betäubung erwacht und hatte sich daran erinnert, dass sie die Meisterin ihres eigenen Schicksals war, und diese Erkenntnis hatte in einer bereits kritischen Lage das Fass zum Überlaufen gebracht.
    Sein Blick fiel auf die Querhausmauer und das Pultdach des Seitenschiffs. Er sah die schweren, aus der Seitenschiffwand hervorspringenden Strebepfeiler und rief sich den vom Dach verborgenen Schwibbogen ins Gedächtnis, der den Pfeiler mit dem unteren Teil des Obergadens verband. Bevor Philip ihn gestört hatte, war er der Lösung des Problems nahe gewesen: Ein vielleicht um zwanzig Fuß höherer Strebepfeiler musste her, mit einem zweiten Schwibbogen zur Stützung jenes Mauerabschnitts, an dem sich die Sprünge zeigten. Der Bogen und der hohe Pfeiler würden die obere Hälfte der Kirche wie eine Klammer zusammenhalten und bei Sturm die starken Schwankungen verhindern.
    Ja, das war wahrscheinlich die Lösung. Sie hatte nur einen Schönheitsfehler: Wenn ich ein zweistöckiges Seitenschiff errichte, um den höheren Strebepfeiler sowie den zweiten Schwibbogen zu verbergen, geht Licht verloren, dachte er. Und wenn ich keines errichte …
    Wenn ich keines errichte, was dann?
    Er war besessen von dem Gefühl, dass ohnehin alles gleichgültig war, denn sein Leben war dabei, zu zerbrechen und zu zerfallen. In einer solchen Stimmung fand er den Gedanken an ein unverkleidetes Strebewerk ganz in Ordnung. Von seinem dem Wind ausgesetzten Beobachtungsposten auf dem Dach konnte er sich recht gut vorstellen, wie es aussehen würde: eine Reihe stämmiger, aus der Außenmauer des Seitenschiffs emporwachsender Pfeiler, an deren oberen Ecken je ein Schwibbogen den Freiraum zum Lichtgaden überbrückte. Zur Zierde könnte

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