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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Richard war ein erfahrener Kämpfer, Alfred aber war bewaffnet. Sie waren nun praktisch einander ebenbürtig. Aliena hatte auf einmal Angst um ihren Bruder. Was wird geschehen, wenn Alfred ihn überwältigt, dachte sie. Dann muss ich allein mit ihm fertig werden …
    Sie sah sich nach einer Waffe um. Neben der Feuerstelle lag ein Stapel Holz. Sie ergriff ein schweres Scheit.
    Wieder ging Alfred auf Richard los. Richard wich aus, bekam das Handgelenk des noch ausgestreckten Arms zu fassen und zog Alfred zu sich her. Alfred verlor das Gleichgewicht und torkelte auf Richard zu, nur um von diesem mit einem Hagel von Faustschlägen auf Gesicht und Körper empfangen zu werden. Ein grausames Lächeln beherrschte Richards Miene – das Lächeln eines Rächers. Alfred fing an zu wimmern und hob wieder die Arme, um Kopf und Gesicht zu schützen.
    Richard zögerte. Er atmete schwer. Aliena dachte schon, es sei alles vorüber, doch unvermittelt und mit überraschender Schnelligkeit stach Alfred wieder zu. Die Messerspitze streifte Richards Wange. Richard wich hastig zurück, doch Alfred setzte nach und hob das Messer zum entscheidenden Stoß … Aliena erkannte, dass Richard in Todesgefahr schwebte. Sie holte aus und schlug mit aller Kraft zu. Das schwere Holzscheit verfehlte Alfreds Kopf, traf aber einen Ellbogen. Aliena hörte ein Knirschen, als Holz und Knochen aufeinanderschlugen. Der Schlag betäubte Alfreds Arm, und das Messer fiel ihm aus der Hand.
    Schnell, entsetzlich schnell, kam dann das Ende.
    Richard bückte sich, griff sich Alienas Messer und unterlief mit derselben, im Bogen aufwärts geführten Bewegung die Verteidigung seines Gegners.
    Mit furchtbarer Gewalt fuhr die Klinge bis zum Heft in Alfreds Brust.
    Aliena packte das Grauen. Alfred schrie wie ein gestochenes Schwein. Richard zog den Dolch wieder heraus, und Alfreds Blut sprudelte aus der Wunde. Alfred öffnete den Mund, aber es kam kein Schrei mehr. Sein Gesicht erbleichte und wurde dann fahl, die Augen schlossen sich, und er stürzte zu Boden. Blut sickerte in die Binsenmatten.
    Aliena kniete neben ihm nieder. Seine Augenlider zitterten. Noch atmete er, doch das Leben verließ seinen Körper rasch. Aliena blickte zu ihrem Bruder auf, der schwer atmend auf die beiden herab­sah. »Er stirbt«, sagte sie.
    Richard nickte. Alfreds Tod rührte ihn wenig. »Ich habe schon bessere Männer sterben sehen«, sagte er und fügte hinzu: »Ich hab auch schon Männer getötet, die ’s nicht so verdient hatten wie er.«
    Aliena erschrak über seine Hartherzigkeit, doch verzichtete sie auf eine Gegenrede. Ihr fiel ein, wie Richard zum ersten Mal einen Menschen getötet hatte – damals, nach der Eroberung der Burg durch William. Sie und Richard waren auf der Straße nach Winchester von zwei Wegelagerern überfallen worden. Aliena hatte einen der beiden mit ihrem Dolch schwer verwundet, dann aber ihren damals erst fünfzehnjährigen Bruder gezwungen, dem Kerl den Gnadenstoß zu versetzen. Wenn er wirklich so herzlos ist, dachte sie, dann bin ich dafür mitverantwortlich …
    Alfred öffnete die Augen und erwiderte ihren Blick. Aliena schämte sich fast, weil sie so wenig Mitleid mit ihm empfand. Sie sah ihm in die Augen und dachte, nie, Alfred, hast du auch nur eine Spur von Mitleid, Nachsicht oder Großzügigkeit gezeigt. Zeitlebens hast du in deinem Herzen nur Grimm und Hass genährt, und Freude hattest du nur an deinen Gehässigkeiten und kleinlichen Racheakten. Das hätte doch alles nicht sein müssen, Alfred … Du hättest ohne Weiteres etwas netter zu deiner Schwester sein können. Und warum hast du deinem Stiefbruder nie verziehen, dass er gescheiter ist als du? Aus Liebe hättest du heiraten sollen, nicht aus Rache, und was hat dich bewegt, Prior Philips Vertrauen so zu enttäuschen? Du hättest glücklich sein können, Alfred …
    Plötzlich riss Alfred die Augen weit auf und stöhnte: »Gott im Himmel, tut das weh …«
    Wann stirbt er denn endlich, dachte Aliena.
    Er schloss die Augen.
    »Das wär’s«, sagte Richard.
    Alfred atmete nicht mehr.
    Aliena erhob sich. »Jetzt bin ich Witwe«, sagte sie.
    Alfred wurde auf dem Friedhof der Priorei Kingsbridge bestattet. Man entsprach damit einem Wunsch Marthas, der letzten überlebenden Blutsverwandten. Martha war auch die einzige Person, die um Alfred trauerte. Obwohl sie von ihrem Bruder immer schlecht behandelt worden war und deshalb schon früh bei ihrem Stiefbruder Jack Trost und Zuflucht gesucht

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