Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
zu gebieten, seine Mauern instand zu setzen, es neu zu bemalen und es zu füllen mit dem Gesang von hundert Mönchen und den Stimmen von tausend Gläubigen, die das Vaterunser sprechen – allein deshalb ersehne ich dieses Amt! Und dann sind da die Klostergüter, die neu geordnet und mit neuem Leben erfüllt werden müssen, auf dass sie wachsen und gedeihen können. In einem Winkel des Kreuzgangs sah Philip schon eine kleine Schülergruppe beieinanderstehen, denen Lesen und Schreiben beigebracht wurde. Hell und warm sollte das Gästehaus sein, sodass Barone und Bischöfe dort logieren konnten, bevor sie der Priorei zum Abschied wertvolle Dotationen machten … Er wollte eine Bibliothek einrichten und sie mit vielen schönen Büchern füllen, in denen das Wissen der Welt gesammelt war. Jawohl, er wollte Prior von Kingsbridge werden, er wollte es von ganzem Herzen.
Gibt es noch andere Gründe, die mich bewegen, fragte er sich. Wenn ich mir vorstelle, der Prior zu sein, der all diese Verbesserungen zur höheren Ehre Gottes in die Wege leitet – erfüllt da nicht auch eitler Stolz mein Herz?
O ja.
In der kalten, ehrfurchtgebietenden Atmosphäre der Kathedrale war es ihm unmöglich, sich der Selbsttäuschung hinzugeben. Sein Ziel war es, den Ruhm Gottes zu mehren – aber der Ruhm Philips hatte auch seinen Reiz. Der Gedanke, Befehle erteilen zu können, die keinen Widerspruch duldeten, gefiel ihm. Er sah sich als Entscheidungsträger, Rechtswalter, Ratgeber und Anreger, der nach eigenem Wissen und Gewissen strafte und verzieh. Schon hörte er die Menschen sagen: ›Philip von Gwynedd hat dieses Kloster reformiert. Es war ein Schandfleck, als er es übernahm – und schaut euch an, was er daraus gemacht hat!‹
Ja, ich wäre ein guter Prior, dachte er. Gott schenkte mir die Geistesgaben, ohne die es nicht möglich ist, so große Werte zu verwalten. Er verlieh mir auch die Gabe, Menschen zu führen; ich habe das als Cellerarius in Gwynedd und als Prior in St.-John-in-the-Forest bewiesen. Die Mönche in den von mir geführten Häusern sind froh und glücklich; die alten haben keine Frostbeulen, und die jungen schlagen nicht aus Arbeitsmangel über die Stränge. Ich kümmere mich um meine Leute.
Andererseits – verglichen mit Kingsbridge waren die Ämter in Gwynedd und St.-John-in-the-Forest geradezu harmlos. In Gwynedd hatte niemals solche Schluderei geherrscht. In der Zelle draußen im Wald hatte anfangs einiges im Argen gelegen, doch war sie klein genug gewesen, sodass man stets den Überblick behielt. Demgegenüber war die Reform der Priorei Kingsbridge eine Herkulesarbeit. Es konnte Wochen dauern, bis allein der Besitzstand genau festgestellt war: wo überall die Ländereien, die Wälder, Weiden und Getreidefelder lagen und was im Einzelnen zu tun war, um aus den weit zerstreuten Liegenschaften eine prosperierende Einheit zu schaffen. Bis man das alles erfasst hatte, konnten Jahre ins Land gehen! In seiner kleinen Zelle im Wald dagegen hatte Philip lediglich ein gutes Dutzend Mönche zu harter Feldarbeit und diszipliniertem Gebet anhalten müssen.
Gut, gestand er sich ein, meine Motive sind nicht nur uneigennützig, und es sind durchaus Zweifel angebracht, ob ich die nötigen Fähigkeiten besitze. Also ist es vielleicht doch besser, auf die Kandidatur zu verzichten? Die Sünde der Hoffart ließe sich auf diese Weise vermeiden. Doch wie sagte Cuthbert? Der Wille Gottes lässt sich durch überzogene Bescheidenheit genauso leicht durchkreuzen.
Was ist der Wille Gottes, fragte sich Philip schließlich. Möchte er, dass Remigius Prior wird? Von den Fähigkeiten her bin ich Remigius überlegen – und was die Motive angeht, nun, die dürften bei ihm kaum reiner sein als bei mir. Gibt es noch einen anderen Kandidaten? Gegenwärtig nicht. Solange uns der Herr keine dritte Möglichkeit offenbart, müssen wir davon ausgehen, dass die Wahl auf mich oder Remigius fällt. Wie die Amtsgeschäfte unter Remigius geführt werden, ist klar – er hat es ja während der langen Krankheit von Prior James bewiesen. Schluderei und Untätigkeit gehen weiter, nichts wird unternommen gegen den zunehmenden Verfall der Priorei. Und unter mir? Ich bin stolz, und meine Talente müssen sich erst noch beweisen. Aber ich werde auf jeden Fall versuchen, das Kloster zu reformieren. Und wenn Gott mir die Kraft gibt, werde ich dabei Erfolg haben.
So sei es denn, sagte er zu Gott, als das Gebet sich seinem Ende näherte. Ich werde mich zur
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