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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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das Thema. »Diese Mitbrüder, die sich noch nicht entschieden haben – was sind das eigentlich für Leute?«
    »Sie hängen am Althergebrachten«, erwiderte Milius, ohne zu zögern. »Für sie ist Remigius eben der Ältere, der Mann, von dem die geringsten Veränderungen zu erwarten sind. Sie können ihn besser einschätzen und haben sich schon an sein Regiment gewöhnt.«
    Philip nickte zustimmend. »Ich spüre ihre misstrauischen Blicke. Sie schauen mich an wie einen fremden Hund, von dem man nicht weiß, ob er bissig ist.«
    Die Glocke läutete zum Kapitel. Milius trank sein Bier aus. »Sie planen eine Attacke gegen dich, Philip. Ich kann nicht genau sagen, in welcher Form, aber auf jeden Fall werden sie versuchen, dich als jungen und unerfahrenen Dickkopf darzustellen, auf den kein Verlass ist. Halte dich möglichst zurück, sei vorsichtig, überleg dir genau, was du sagst – aber überlass es bitte Cuthbert und mir, dich zu verteidigen.«
    Philip verspürte eine gewisse Beklemmung. Er war es nicht gewohnt, jede Handlung abzuwägen und daraufhin zu überprüfen, wie andere vielleicht reagieren würden. Mit einem skeptischen Unterton in der Stimme erwiderte er: »Bisher habe ich mir immer nur darüber Gedanken gemacht, wie Gott mein Handeln beurteilt.«
    »Ich weiß, ich weiß«, gab Milius ungeduldig zurück. »Aber es ist doch keine Sünde, wenn man einfacheren Gemütern ein wenig dazu verhilft, dich und dein Tun im rechten Licht zu sehen.«
    Sie machten sich auf den Weg zum Kreuzgang. Philip war jetzt sehr besorgt. Eine Attacke? Was hatte das zu bedeuten? Werden sie irgendwelche Lügen über mich verbreiten? Und wie soll ich darauf reagieren? Wenn jemand Unwahrheiten über mich erzählt, werde ich wütend. Soll ich meine Wut unterdrücken, um nach außen hin den Schein des Besonnenen zu bewahren und um die Stimmen der Konservativen zu buhlen? Nein, denn wenn ich schweige, werden die Mitbrüder meinen, an den Lügen sei doch etwas dran.
    Philip entschloss sich, er selbst zu bleiben – und sich vielleicht ein kleines bisschen ernster und würdiger zu geben als bisher.
    Das Kapitel war ein kleines, rundes Gebäude, das an den Ostumlauf des Kreuzgangs anschloss. Die Sitzbänke im Inneren waren in konzentrischen Ringen angeordnet. Da kein Feuer brannte, war es empfindlich kalt. Das Licht kam durch Fenster, die so hoch saßen, dass ein Blick nach draußen nicht möglich war: Man hatte im Kapitelsaal also nur seine Mitbrüder vor Augen.
    Philip machte aus der Not eine Tugend: Er sah sich um. Fast die gesamte Klosterbelegschaft war anwesend. Alle Altersstufen zwischen siebzehn und siebzig, große und kleine Gestalten, dunkle und helle. Alle trugen sie Ledersandalen und die Kutte aus rauer, ungebleichter Wolle. Da war zum Beispiel der Gästemeister mit kugelrundem Bauch und roter Nase als Zeichen seiner Laster – Laster, die unter Umständen verzeihlich wären, dachte Philip, vorausgesetzt, er könnte wenigstens ab und zu mal ein paar Gäste vorweisen … Da war der Garderobenmeister, der zu Weihnachten und Pfingsten Kuttenwechsel und Rasur befahl (ein Bad wurde ebenfalls angeraten, war aber nicht vorgeschrieben). An der Mauer gegenüber lehnte der älteste Mitbruder, ein schmächtiger, nachdenklicher Mann mit nach wie vor mehr grauen als weißen Haaren, der nur selten das Wort ergriff, dann aber immer etwas zu sagen hatte. Er wäre wahrscheinlich ein guter Kandidat für das Amt des Priors gewesen, galt jedoch als zu zurückhaltend. Da war ferner Bruder Simon mit dem verstohlenen Blick und den rastlosen Händen, der (wie Milius Philip zuflüsterte) so oft die Sünde der Unkeuschheit beichtete, dass man fast schon annehmen musste, er habe mehr Gefallen an der Beichte als an der Sünde. Auch William Beauvis war da und benahm sich anständig. Bruder Paul erschien, er hinkte kaum noch. Cuthbert Whitehead wirkte ruhig und selbstbeherrscht. John Small, der winzige Schatzmeister, war da, und Pierre, der Cirkator, der Philip tags zuvor daran gehindert hatte, sein Essen einzunehmen. Philip sah sich um – und merkte auf einmal, dass alle ihn ansahen. Peinlich berührt senkte er den Blick.
    Remigius betrat den Kapitelsaal in Begleitung Andrews, des Sakristans. Sie setzten sich zu John Small und Pierre. Immerhin, dachte Philip, sie geben wenigstens zu, dass sie alle unter einer Decke stecken.
    Das Kapitel begann mit einer Lesung über Symeon Stylites, den Heiligen des Tages. Symeon war ein Eremit gewesen, der den

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