Die Säulen der Schöpfung - 13
denn sonst wäre es ja keine Prophezeiung – das heißt also, er würde Euch lediglich erzählen, was passieren wird. Daran können weder er noch Ihr etwas ändern. Würde die Vorhersage dazu führen, daß Ihr Lord Rahl im Stich laßt, würde er auch dieses Ereignis vorhersehen, also ist es vorherbestimmt und wäre demzufolge ohnehin bereits Teil der Prophezeiung.«
Jennsen strich sich eine Haarsträhne aus den Augen, während sie sich, die Hände fest am Geländer, ganz allmählich über die Brücke tastete. In Gedanken suchte sie fieberhaft nach einer logischen Antwort. Sie hatte keine Ahnung, ob das, was sie so daherredete, stimmte oder nicht, aber sie fand, daß es recht überzeugend klang und außerdem seine Wirkung nicht verfehlte. Das Problem war nur, daß Nyda ständig irgendwelche Fragen stellte, deren Beantwortung Jennsen zunehmend schwer fiel. Fast war es, als wäre sie in den Abgrund unter ihr hinabgestiegen, und jeder Versuch, wieder daraus hervorzuklettern, ließe sie nur tiefer abrutschen. Sie versuchte, so gut es ging, jeden Anflug von Verzweiflung aus ihrer Stimme herauszuhalten.
»Aber begreift Ihr denn nicht? Propheten sehen nicht alles über jeden einzelnen Menschen im Voraus, so als wäre das gesamte Weltgeschehen ein einziges, gewaltiges Spektakel, das nur noch gemäß eines vom Propheten bereits vorab gelesenen Manuskripts aufgeführt werden müßte. Gewöhnlich sieht ein Prophet nur einige ausgewählte Dinge – möglicherweise sogar Dinge, die er selbst ausgewählt hat. Andere Dinge aber Dinge, die er nicht voraussieht, könnte er zu beeinflussen suchen.«
Nyda sah sich stirnrunzelnd nach den beiden um. »Was wollt Ihr damit sagen?«
Jennsen ahnte, daß sie sich nur sicher fühlen konnte, wenn sie Nydas Sorge um Lord Rahl wachhielt. »Damit meine ich, daß er mir, wollte er Lord Rahl tatsächlich schaden, etwas erzählen würde, das mich zurückschrecken ließe, und zwar nur aus ebendiesem Grund, auch wenn er ein solches Ereignis gar nicht sähe.«
Nydas Stirnrunzeln wurde immer ernster. »Wollt Ihr damit andeuten, er könnte lügen?«
»Ja.«
»Aber warum sollte Zauberer Rahl Lord Rahl schaden wollen?«
»Das habe ich Euch doch schon erklärt, weil er gefährlich ist. Deswegen hat man ihn im Palast der Propheten hinter Schloß und Riegel gebracht. Wer weiß, was man dort sonst noch über ihn wußte.«
»Das erklärt noch immer nicht, warum Zauberer Rahl den Wunsch haben sollte, Lord Rahl zu schaden.«
Jennsen kam sich vor wie bei einem Messerkampf, bei dem sie sich vor der rasiermesserscharfen Zunge dieser Frau hüten müßte. »Es sind ja nicht nur die Prophezeiungen – der Mann ist obendrein Zauberer. Er besitzt die Gabe. Ich weiß nicht, ob er ein Interesse daran hat, Lord Rahl zu schaden – vielleicht stimmt das gar nicht –, nur will ich nicht das Leben des Lord Rahl riskieren, um es herauszufinden. Meine Kenntnis der Magie ist groß genug, um zu wissen, daß ich besser nicht mit Dingen herumhantieren sollte, die über meinen Horizont gehen. Ich muß Lord Rahls Leben absoluten Vorrang einräumen, deshalb aber noch lange nicht glauben, daß Nathan Rahl darauf aus ist, jemandem zu schaden. Ich will damit nur sagen, daß es meine Aufgabe ist, Lord Rahl zu beschützen; und daß ich kein Risiko mit dieser Magie eingehen möchte, einer Magie, gegenüber der ich machtlos bin.«
Nyda stieß die Tür am Ende der Fußgängerbrücke mit der Schulter auf. »Dem kann ich nur beipflichten; mit Magie will ich auch nichts zu schaffen haben. Aber wenn Lord Rahl von diesem prophetischen Zauberer Gefahr droht, dann solltet Ihr vielleicht besser hier bleiben, damit wir der Sache nachgehen können.«
»Ob Nathan Rahl gefährlich ist, weiß ich nicht, aber ich bin in einer dringenden Angelegenheit unterwegs, von der ich mit Sicherheit weiß, daß sie eine ernste Gefahr für Lord Rahl bedeutet. Es ist meine Pflicht, mich darum zu kümmern.«
Nyda versuchte, eine Tür zu öffnen, fand sie jedoch verschlossen und setzte ihren Weg durch den schmuddeligen Flur fort. »Aber wenn Eure Vermutungen über Nathan Rahl zutreffen, müssen wir…«
»Ich hatte gehofft, Ihr könntet für mich diesen Nathan Rahl im Auge behalten. Ich kann nicht alles allein machen. Würdet Ihr ihn für mich beobachten?«
»Wollt Ihr, daß ich ihn töte?«
»Nein.« Jennsen war überrascht, wie schnell die Mord-Sith zu einer solchen Tat bereit war. »Natürlich nicht. Ich meinte bloß, Ihr solltet acht geben und ihn im
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