Die Säulen der Schöpfung - 13
überstanden.«
Jennsen warf einen vorsichtigen Blick auf die winzigen, wie kleine Huldigungen aussehenden Blütenteile.
»Es passiert Euch nichts, wenn Ihr eins berührt«, sagte er, als er ihre Reaktion auf die große Menge in dem Gefäß bemerkte. »Man muß sie schon zu sich nehmen, um eine Wirkung zu spüren. Und wie gesagt, selbst dann wird eine, in Verbindung mit den anderen Mitteln, dem Jungen bloß gegen sein Fieber helfen.«
Jennsen lächelte verlegen und langte mit zwei Fingern in das Gefäß, um ein Blütenteil herauszufischen, das sie dann in den Mörser warf; es erinnerte wirklich sehr an eine Huldigung.
»Ware es für einen Erwachsenen im Wachzustand bestimmt, würde ich es einfach mit den Fingern zerdrücken«, erläuterte der Heiler, während er Honig in das Schälchen träufelte, »aber er ist klein und schläft außerdem. Ich muß ihn dazu bringen, daß er es nach und nach zu sich nimmt, zermahlt es also bitte äußerst fein.«
Als er fertig war, gab er das dunkle Pulver der Bergfieberrosenblüte hinzu, die Jennsen für ihn zermahlen hatte. Wie die Huldigung, der sie so ähnlich sah, konnte sie Leben retten oder töten.
Sie fragte sich, was Sebastian wohl von der Geschichte hielt, und überlegte, ob Bruder Narev die Bergfieberrose wegen ihrer potentiell tödlichen Wirkung womöglich sogar ausmerzen wollte.
Jennsen stellte die Gefäße des Heilers wieder ins Regal zurück, während er den mit Honig gesüßten Trank zu dem Jungen hinübertrug. Mit der tatkräftigen Hilfe der Mutter setzten sie ihm das Schälchen ganz vorsichtig an seine zarten Lippen und versuchten, ihn zum Trinken zu bewegen. Mit viel Geduld gelang es ihnen, den schlafenden Jungen dahin zu bringen, daß er daran nippte und das kostbare Getränk, Tropfen für Tropfen, so wie sie es ihm in den offenen Mund träufelten, hinunterschluckte.
Sie waren noch immer damit beschäftigt, als Sebastian von der Scheune zurückkehrte. Ehe er die Tür wieder schließen konnte, erhaschte sie einen Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel. Ein Schwall eiskalter Luft drang an ihre Beine und ließ sie bis zu den Schultern hoch frösteln. Abflauen des Windes bei gleichzeitig sternenklar aufreißendem Himmel bedeutete oft eine überaus kalte Nacht.
Sebastian, der es kaum erwarten konnte, sich aufzuwärmen, ging schnurstracks zum Feuer. Der Heiler legte der Frau sacht eine Hand auf die Schulter und nickte ihr ermutigend zu, während sie ihrem kranken Kind den Trank einflößte, dann überließ er sie ihrer Arbeit und gesellte sich, nachdem er seinen Umhang auf einen Haken gleich neben der Tür gehängt hatte, am Feuer zu Jennsen und Sebastian.
»Diese Frau und das Kind, sind das Verwandte von Euch?«, erkundigte er sich.
»Nein«, antwortete Jennsen. Die Hitze des Feuers bewog sie, ebenfalls ihren Umhang auszuziehen; sie legte ihn über die Bank am Tisch. »Wir haben sie nur hergebracht.«
»Aha«, meinte er. »Nun, sie ist herzlich eingeladen, über Nacht mit ihrem Jungen hier zu bleiben. Ich werde ohnehin die ganze Zeit ein Auge auf ihn haben müssen.« Sie hatte vollkommen vergessen, wie ungewöhnlich das Messer war, das sie an ihrem Gürtel trug, bis er es schließlich bemerkte. »Bitte«, meinte er, »nehmt Euch von dem Eintopf, den ich über dem Feuer hängen habe. Wir haben für unsere Besucher stets reichlich davon vorbereitet. Zum Weiterreisen ist es zu spät. Es steht Euch frei, die Hütten über Nacht zu benutzen. Sie stehen zur Zeit alle leer. Ihr könnt Euch also für die Nacht jeder eine aussuchen.«
»Ihr tätet uns damit einen großen Gefallen«, erwiderte Sebastian. »Vielen Dank.«
Gerade wollte Jennsen einwenden, daß sie sich auch eine Hütte teilen könnten, als ihr bewußt wurde, daß er es nur gesagt hatte, weil sie ihm gegenüber erwähnt hatte, Sebastian sei gar nicht ihr Ehemann. Sie merkte, wie seltsam es klingen mußte, wenn sie jetzt irgendwelche Einwände gegen den Vorschlag äußerte, also ließ sie es sein.
Im Übrigen war es eine vollkommen natürliche und harmlose Angelegenheit, mit Sebastian zusammen unter freiem Himmel zu schlafen, in einer gemeinsamen Hütte dagegen schien es irgendwie anders. Sie erinnerte sich zwar, daß sie auf ihrer langen Reise zum Palast des Volkes ja mehrfach in Gasthäusern abgestiegen waren, aber das war gewesen, bevor er sie geküßt hatte.
»Ist dies die Siedlung der Raug’Moss?«, fragte Jennsen dann.
Er lächelte über ihre Frage, so als fände er sie erheiternd, ohne
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