Die Säulen der Schöpfung - 13
Der Abschied von dem Heiler und der Mutter des Jungen war ihr nur noch verschwommen in Erinnerung, und von ihrem Rückweg, als sie sich mit langsamen, schweren Schritten durch Schnee und Kälte zu der leeren Hütte geschleppt hatte, hatte sie kaum etwas mitbekommen.
Sie wußte nicht, wie lange sie jetzt schon dort saß und ihren düsteren Gedanken nachhing, die ihr in unablässiger Folge durch den Kopf schwirrten.
Seit Althea ihr von Drefan erzählt hatte, hatte Jennsen sich an die Hoffnung geklammert, aus dieser Verbindung Kraft schöpfen zu können, vorausgesetzt, es gelang ihr, diesen anderen Nachkömmling Darken Rahls, ihren Halbbruder und eine Lücke in der Welt wie sie, aufzuspüren. Sie hatte geglaubt, daß vielleicht eine Art Verwandtschaft sie miteinander verband und sie durch ihren gemeinsamen Kampf zu einer Klärung ihrer jeweiligen Stellung im Leben finden könnten. Nun würde sie nie mehr erfahren, ob etwas davon hätte Wirklichkeit werden können oder nicht…
Jennsen.
Die Gedanken schossen ihr wie reißende Sturzbäche durch den Kopf, ein heilloses Durcheinander aus Hoffnung und Verzweiflung, entsetzlicher Angst und Wut.
Tu vash misht. Tu vask misht. Grushdeva du kalt misht.
Und auch die Stimme war da, irgendwo jenseits der brodelnden Gedanken, jenseits ihrer aufgewühlten Gefühle, jenseits von Chaos und Verwirrtheit. und flüsterte wieder einmal diese seltsam lokkenden Worte.
Bis schließlich alle anderen Gedanken in der glühenden Hitze ihres Zorns verdampften.
Jennsen. Gib dich hin.
Plötzlich wußte sie, was sie zu tun hatte.
Jennsen erhob sich, auf einmal geradezu beschwingt von dem seltsamen Gefühl inneren Friedens, einen Entschluß gefaßt zu haben. Sie warf sich ihren Umhang über die Schultern und stapfte entschlossen hinaus in die friedliche, eisige, lautlose Nacht. Die Luft war so kalt, daß jeder Atemzug schmerzte. Der jungfräuliche Schnee knirschte unter ihren Sohlen, als sie in die noch frischen Spuren trat.
Zitternd vor Kälte, vielleicht auch wegen der Ungeheuerlichkeit ihres Entschlusses, klopfte sie leise an die Tür der letzten Hütte. Gleich darauf öffnete Sebastian sie gerade weit genug, um zu erkennen, daß sie es war, dann zog er sie rasch auf, um Jennsen hineinzulassen. Eilig trat sie durch die Tür in den Schein des Feuers und in die wohlige Wärme, die sich wie eine schützende Hülle um sie legte.
Sebastian trug kein Hemd. Aus seinem Geruch von Sauberkeit und dem um seinen Hals geschlungenen Handtuch schloß sie, daß sie ihn offenbar an der Waschschüssel erwischt hatte. Wahrscheinlich hatte er auch in ihrer Hütte eine Schüssel mit Wasser gefüllt, sie hatte es nur nicht bemerkt.
Die Stirn besorgt in Falten gelegt, wartete Sebastian gespannt zu hören, was sie zu ihm geführt haben mochte. Jennsen trat auf ihn zu, so nah, daß sie seine Körperwärme spürte. Die geballten Fäuste seitlich am Körper, sah sie ihm unerschrocken in die Augen.
»Ich habe mich entschlossen, Richard Rahl zu töten.«
Er musterte ihr Gesicht, so als hätte er die ganze Zeit gewußt, daß sie eines Tages diese unvermeidliche Notwendigkeit einsehen würde. Ohne etwas zu erwidern wartete er ab, was sie ihm außerdem noch zu sagen hatte.
»Mir ist jetzt klar geworden, daß Ihr Recht hattet«, fuhr sie fort. »Wenn ich ihn nicht beseitige, werde ich niemals sicher sein. Ich werde niemals frei sein, mein eigenes Leben zu leben. Ich bin die Einzige, die dafür in Frage kommt – ich muß es tun.«
Was sie ihm nicht verriet, war, warum es unbedingt sie sein mußte.
Er faßte sie beim Oberarm, ohne seinen durchbohrenden Blick von ihr abzuwenden. »Es wird schwierig sein, an einen solchen Mann heranzukommen, um Euren Plan in die Tat umzusetzen. Ich habe Euch erzählt, daß wir Hexenmeisterinnen in Diensten des Kaisers haben, Hexenmeisterinnen, die für das Ende der Herrschaft des Lord Rahl kämpfen. Laßt mich Euch zuerst zu ihnen bringen.«
Jennsen war einzig auf ihren Entschluß konzentriert gewesen, weniger darauf, wie dieser sich im Einzelnen durchführen ließe. Auf ihre Vorgehensweise oder darauf, wie sie mit den verschiedenen Schutzringen von Personen fertig werden sollte, die diesen Mann umgaben, hatte sie keinen Gedanken verschwendet. Für den eigentlichen Mord mußte sie nah genug an ihn heran. Sie hatte sich immer nur selbst vor ihrem inneren Auge gesehen, wie sie. das Messer in ihrer geballten Faust, auf ihn einstach, ihm ihren Haß ins Gesicht schrie, und wie sehr sie
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