Die Saga vom Dunkelelf 1 - Der dritte Sohn
diesen Naturtrieb aus ihm herauszuprügeln. Die Aufgabe eines Fürstenprinzen war die Knechtschaft, und die einzigen Augen, denen zu begegnen die Augen eines Fürstenprinzen wert waren, waren die der Kreaturen, die über den Felsenboden huschten - außer den Augen einer Spinne natürlich. Drizzt mußte seinen Blick abwenden, wann immer eines dieser achtbeinigen Wesen in sein Blickfeld krabbelte. Spinnen waren zu gut für einen Fürstenprinzen.
»Seht mich an«, sagte Malice erneut, und ihr Ton ließ aufkommende Ungeduld erkennen. Drizzt hatte die Ausbrüche schon vorher erlebt, den unglaublich abscheulichen Zorn, der alles und jeden aus dem Weg scheuchte. Selbst Briza, die so prahlerisch und grausam war, versteckte sich schnell, wenn die Mutter Oberin böse wurde. Drizzt zwang seinen Blick zögernd nach oben und erblickte flüchtig die schwarzen Gewänder seiner Mutter, die, seinem Blickwinkel nach zu urteilen, das vertraute Spinnenmuster auf der Rückseite und an den Seiten aufwiesen. Während er jeden Zentimeter des Stoffes betrachtete, erwartete er jeden Moment einen Schlag auf den Kopf oder ein Zurren am Rücken - Briza stand hinter ihm, die schlangenköpfige Peitsche immer greifbar.
Dann sah er sie, die mächtige Oberin Malice Do'Urden, ihre hitzeempfindenden Augen rot leuchtend und ihr Gesicht kühl, ohne Anzeichen ärgerlicher Hitze. Drizzt blieb verkrampft, denn er erwartete noch immer einen Schlag als Bestrafung.
»Eure Zeit als Fürstenprinz ist beendet«, erklärte Malice. »Ihr seid nun der Zweitgeborene des Hauses Do'Urden und erhaltet alle...«
Drizzts Blick glitt wieder unbewußt zu Boden.
»Seht mich an!« schrie seine Mutter in plötzlicher Wut.
Erschrocken richtete Drizzt seinen Blick schnell zurück auf ihr Gesicht, das nun heiß und rot erglühte. Am Rande seines Blickfeldes nahm er die flimmernde Hitze von Malices schwingender Hand wahr, aber er war nicht so dumm zu versuchen, dem Schlag auszuweichen. Dann lag er auf dem Boden, und eine Seite seines Gesichts wurde blau.
Noch im Fall war Drizzt jedoch wachsam und klug genug, seinen Blick weiterhin dem der Oberin Malice darzubieten.
»Kein Diener mehr!« grollte die Mutter Oberin. »Weiterhin so zu handeln würde Schande über die Familie bringen.« Sie ergriff Drizzt an der Kehle und zog ihn grob vor ihre Füße. »Wenn Ihr dem Hause Do'Urden Schande bereitet«, versprach sie, »werde ich Euch Nadeln in Eure purpurfarbenen Augen stechen.« Drizzt blinzelte nicht. In den sechs Jahren, seit Vierna die Obhut über ihn abgegeben und ihn in die Knechtschaft für die ganze Familie entlassen hatte, war ihm die Oberin Malice vertraut genug geworden, um all die subtilen Beiklänge ihrer Drohungen zu verstehen. Sie war seine Mutter - wofür auch immer das gut sein sollte -, aber Drizzt zweifelte nicht daran, daß es ihr Spaß machen würde, tatsächlich Nadeln in seine Augen zu stechen.
»Er ist anders«, sagte Vierna, »und nicht nur in Hinsicht auf die Schattierung seiner Augen.«
»In welcher Hinsicht noch?« fragte Zaknafein, der versuchte, seine Neugier auf professioneller Ebene zu halten. Zak hatte Vierna schon immer lieber gemocht als die anderen, aber sie war kürzlich zur Hohepriesterin geweiht worden und seitdem zu sehr auf ihr eigenes Bestes bedacht.
Vierna verlangsamte ihren Schritt - die Tür zum Vorraum der Kapelle war jetzt in Sicht. »Das ist schwer zu sagen«, gab sie zu. »Drizzt ist genauso intelligent wie jeder andere Junge, den ich je kennengelernt habe. Er beherrschte die Schwerelosigkeit bereits im Alter von fünf Jahren. Aber nachdem er Fürstenprinz geworden war, brauchte es Wochen der Bestrafung, ihm die Pflicht nahezubringen, den Blick gesenkt zu halten, als ob so eine simple Handlung bei seiner Veranlagung unnatürlich wäre.«
Zaknafein blieb stehen und ließ Vierna vorausgehen. »Unnatürlich?« flüsterte er leise und dachte über den tieferen Sinn von Viernas Beobachtungen nach. Es war vielleicht ungewöhnlich für einen Drow, aber genau das, was Zaknafein von einem Kind seiner Lenden erwarten - und erhoffen -würde.
Er trat hinter Vierna in den lichtlosen Vorraum. Malice saß wie immer auf ihrem Thron am Kopf des Spinnengötzenbildes, aber alle anderen Stühle im Raum waren an die Wände geschoben worden, und das, obwohl die ganze Familie anwesend war. Dies sollte eine formelle Zusammenkunft sein, wie Zak feststellte, denn nur der Mutter Oberin wurde die Bequemlichkeit eines Sitzplatzes zugestanden.
»Oberin
Weitere Kostenlose Bücher