Die Saga vom Dunkelelf 5 - In Acht und Bann
Natürlich hatte er schon vor einiger Zeit die Wahrheit herausgefunden, aber Roddy konnte die Narbe in seinem Gesicht und den Verlust seines Ohrs nicht vergessen und das üppige Kopfgeld, das auf den Kopf des Drows ausgesetzt war, natürlich auch nicht.
Taube hatte damit gerechnet und verstand sein stummes Abwägen. »Den Menschen in Maldobar wird nicht viel daran liegen, dass der Drow zu ihnen gebracht wird, wenn sie erst einmal die Wahrheit über das Gemetzel erfahren haben«, sagte sie, »und ich würde meinen, dass sie auch nicht gewillt sind, unter diesen Umständen das Kopfgeld zu bezahlen.«
Roddy warf ihr einen wütenden Blick zu, aber auch jetzt konnte er nichts gegen ihre Logik einwenden. Als Taubes Truppe sich wieder auf den Weg nach Maldobar machte, begleitete Roddy sie.
Drizzt stieg einen Tag später den Berg hinunter, um nach ein paar Hinweisen zu suchen, die ihn über den Aufenthaltsort seiner Verfolger aufklärten. Er fand Kellendils Flakon und näherte sich ihm zögernd. Aber als er den Gegenstand daneben erkannte, den kleinen Dolch, den er dem Feengeist abgenommen und beim ersten Zusammentreffen mit dem Elf benutzt hatte, um dessen Bogenschnur durchzuschneiden, entspannte er sich.
Die Flüssigkeit in dem Flakon schmeckte süß, und der Dunkelelf, dessen Kehle immer noch von dem Steinstaub brannte, nahm erfreut einen Schluck aus der Flasche. Eiskalte Wellen durchliefen Drizzts Körper, erfrischten ihn und erweckten ihn wieder zu neuem Leben. Seit mehreren Tagen hatte er kaum Nahrung zu sich genommen, aber die Kraft, die sein jetzt zerbrechlicher Körper verloren hatte, kam plötzlich und mit voller Wucht zurück. Das verletzte Bein wurde taub, aber kurze Zeit später fühlte Drizzt, wie es stärker wurde.
Dann überkam ihn ein Schwindelanfall, und Drizzt schleppte sich zu einem schattenspendenden Felsen.
Als er aufwachte, war der Himmel dunkel und mit Sternen übersät, und er fühlte sich wesentlich besser. Selbst sein Bein, das so sehr unter dem Ritt auf der Lawine gelitten hatte, war jetzt wieder stark genug, um sein Körpergewicht zu tragen. Drizzt wusste, wer den Flakon und den Dolch für ihn hinterlegt hatte, und da er sich im klaren war, von welcher Herkunft das heilende Getränk war, verstärkten sich seine Verwirrung und seine Unentschlossenheit nur noch, denn er begriff nicht, was auf der Oberflächenwelt vorging.
Teil3
Montolio
Bei allen Völkern der Welt gibt es nichts, was so sehr außer Reichweite und dabei doch so persönlich und beherrschend ist wie die Vorstellung von Gott. In meiner Heimat wurde ich wenig an diese übernatürlichen Wesen herangeführt, weil das über den Einflußbereich der widerlichen Drow-Gottheit, Lloth, die Spinnenkönigin, hinausgegangen wäre.
Nachdem ich Zeuge von Lloths blutrünstigen Taten geworden war, war ich nicht mehr so schnell bereit, den Begriff Gottheit zu akzeptieren. Ich wehrte mich auch gegen jedes andere Wesen, das einen Herrschaftsanspruch ausüben wollte und Verhaltensregeln und Grundsätze, auf denen eine ganze Gesellschaft aufgebaut war, aufstellte. Ist Moral denn nicht eine innere Kraft, und wenn dem so sein sollte, müssen Regeln dann diktiert oder freiwillig von Herzen befolgt werden?
Außerdem ist das Thema Götter als solches noch zu hinterfragen: Sind diese besagten Götter wirkliche Wesen, oder manifestiert sich in ihnen ein Glaube, der von vielen geteilt wird? Sind die Dunkelelfen böse, weil sie den Regeln der Spinnenkönigin folgen, oder ist Lloth die Kulmination des niedrigen Verhaltens der Dunkelelfen, was für sie ganz natürlich ist?
Und wenn die Barbaren aus dem Eiswindtal über die Tundra stürmen, um in den Krieg zu ziehen, und dabei den Namen von Tempus, dem Fürsten der Schlachten, ausrufen, befolgen sie dann Tempus' Regeln, oder ist Tempus nur ein Name, mit dem sie ihre Taten verbrämen?
All das kann ich nicht beantworten, und ich habe auch festgestellt, dass kein anderer, egal, wie lautstark er – ganz besonders die Priester bestimmter Gottheiten – sich dafür ausspricht, eine Antwort geben kann. Im Endeffekt ist die Wahl des Gottes eine ganz persönliche, sehr zum Leidwesen des Gläubigen, und die Orientierung an einem Wesen kann nur stattfinden, wenn es mit den verinnerlichten Prinzipien zusammenpaßt. Ein Missionar mag ein Volk mit Zwang und Tricks zur Ausübung des Glaubens zwingen, aber kein rationales Wesen kann den Geboten einer Gottheit folgen, wenn diese Regeln den eigenen Vorstellungen
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