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Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Titel: Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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Gründe
    »Ich habe mich schon oft gefragt, wie alt er eigentlich sein mag.«
    »Ich auch. Er hat alle Alter und keins, so wie es ihm im Augenblick passt, scheint mir.«
    »Er war hier in der Kirche, hat er mir erzählt.«
    »Ja. Er hat gefragt, ob zu Hause alles zum Besten steht, und da habe ich Sols Krankheit erwähnt. Dann kam er mit mir nach Hause.«
    Benedikt zögerte einen Augenblick. »Er hat dich ins Herz geschlossen, Silje«, sagte er entschlossen. »Dafür solltest du sehr dankbar sein – und sehr vorsichtig damit umgehen.«
    »Warum?«
    »Mach es mir doch nicht so schwer«, ärgerte er sich.
    »Ich möchte es gern wissen«, sagte sie in beharrlichem und ruhigem Ton.
    »Tja«, sagte Benedikt und breitete die Arme aus, sodass Farbe auf den Steinboden kleckerte. »Wisch das auf, Silje! Tja... Ich möchte ihn jedenfalls nicht zum Feind haben. Du musst aufpassen, was du tust.«
    »Die Knechte sind seine Feinde«, lächelte sie, ohne sein Dilemma zu erkennen. »Sie haben doch seinen Zorn zu spüren bekommen.«
    »Ja«, antwortete Benedikt abwesend. »Ja, das haben sie wohl.«
     
    In dem vornehmen Palast in Trondheim lag Charlotte von Meiden die fünfte Nacht hintereinander wach. Nur gegen Morgen gelang es ihr, ein wenig Schlaf zu finden, wenn er auch unruhig und voller Albträume war.
    Ihr Herz war versteinert, die Augen waren trocken. Sie starrte mit leerem Blick ins Zimmer, das stets von einem Wachslicht erleuchtet war; sie hatte jetzt ständig Angst vor der Dunkelheit. Die altvertrauten und geliebten Möbel standen da, sie nahm sie jedoch gar nicht wahr. Der Eckschrank mit den französischen Holzschnitzereien, die eleganten Stühle, die sie immer an Loyola und die spanische Inquisition erinnerten, die schönen Kleider... Die waren gleichsam nicht vorhanden.
    Zum Frühjahr wird es wärmer, dachte sie verwirrt. Das Frühjahr kommt bald – nach Weihnachten -, und dann wird alles viel besser. Niemand friert mehr.
    Die Eltern machten sich große Sorgen um sie. Sie kannten sich mit ihr nicht mehr aus. Verstanden ihre schwankenden Stimmungen nicht, nicht ihren Widerwillen, die Stadt zu verlassen, um etwas frische Landluft zu genießen oder um Verwandte und Freunde auf den großen Gutshöfen zu besuchen, nicht ihre unbeherrschten Ausbrüche, als ihre älteste Schwester mit den kleinen Kindern zu Besuch kam.
    Es hatte den Anschein, als ärgere sie sich grenzenlos über die Kinder. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein und weigerte sich herauszukommen, solange sie im Haus waren.
    Wie launisch sie geworden war!
    Charlotte, die stets so lebhaft und fröhlich gewesen war. Sorglos, etwas leichtsinnig war sie immer gewesen, ihr jüngstes Kind. Immer mit einer Widerrede auf den Lippen, sie war vielleicht ein wenig oberflächlich, aber es war immer eine Freude gewesen, mit ihr zu plaudern. In ihrer Gesellschaft hatten alle gute Laune, obwohl sie nicht gerade die Schönste war. Aber nun... ?
    Sie war seit Langem nicht mehr sie selbst. Seit über einem halben Jahr nicht. So verkrampft und unnatürlich. Und jetzt führte sie sich vollkommen unmöglich auf!
    Charlotte starrte zum Fenster hinaus. Das, was so viele Tage und Nächte verborgen in ihr geschlummert hatte, stand jetzt kurz vor dem Ausbruch. Sie fühlte es und konnte nichts dagegen tun.
    Wäre ich doch nur in jener Nacht wieder hinausgegangen, krochen die Gedanken in ihr hoch. Sie schlichen sich in sie hinein, und nun war sie dagegen machtlos. Oder am nächsten Morgen, man darf ja nachts die Stadt nicht verlassen. Oder wenigstens den nächsten Abend oder den Morgen darauf, so wie ich es vorhatte. Aber ich hab es hinausgeschoben. Ängstlich, unsicher, schwankend. Nun ist es zu spät.
    Oh Gott, da kommt er, der Gedanke, den sie zu unterdrücken versucht hatte.
Zu spät! Zu spät, zu spät!
    Sie holte tief Luft, streckte sich im Bett aus, um die Hysterie zu bekämpfen.
    Die Gedanken aber ließen sich jetzt nicht mehr vertreiben. Allzu lange hatte sie sie zurückgehalten.
    Dreißig Tage waren vergangen. Niemand auf der Welt konnte dreißig Tage allein zurechtkommen.
    In Gedanken sah sie das kleine Bündel unter der Tanne liegen. Schneeweiß, durchnässte Kleider, kurz vor dem Verfaulen. Und im Bündel war es still, so still. Niemand weinte, niemand rührte sich mehr.
    Ein stummer Schrei stieg Charlotte die Kehle hinauf. Sie schrie in ihrer Machtlosigkeit, in ihrer Verzweiflung, die nur gewachsen war, seit sie das Kind ausgesetzt und geglaubt hatte, frei zu sein. Oder nein,

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