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Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Titel: Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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noch weiter zurück. Seit sie auf dem Weg durch die Stadt das hilflose kleine Leben in ihren Armen gehalten hatte.
    Sie zitterte am ganzen Körper, konnte ihre Tränen einfach nicht bezwingen. Die Kammerzofe stürzte in ihrem Schrecken herein, in Nachthaube und Schal über dem Nachthemd. Ein solches Weinen hatte sie noch nie gehört.
    »Aber, Fräulein Charlotte! Was ist Euch? Was ist Euch?« Das Weinen, das fast wie ein Hilfeschrei klang, hörte nicht auf. Es gellte durch den ganzen Palast.
    »Was soll ich denn tun?« Die Kammerzofe war völlig ratlos. »Soll ich die gnädige Baronin holen?«
    »Nein, nein«, schluchzte Charlotte.
    »Aber was ist denn? Ist Fräulein Charlotte krank?«
    Die Antwort klang wie »Nein, durchaus nicht«, es konnte aber ebenso gut etwas ganz anderes gewesen sein.
    Die Kammerzofe, die stets gebührenden Abstand zu ihrer Herrin hielt, setzte sich zögernd und bedrückt auf die äußerste Bettkante.
    Charlotte setzte sich zugleich auf und schlang die Arme um sie.
    »Hilf mir! Oh, hilf mir!«
    »Was ist?«, fragte die Kammerzofe verlegen. Sie musste sich zwingen, sitzen zu bleiben. Von derlei Intimitäten wollte sie wirklich nichts wissen.
    Charlotte hätte sie am liebsten gebeten, in den Wald zu gehen und nachzuschauen. Aber als sie instinktiv den Widerwillen verspürte, der ihr von der Kammerzofe entgegenströmte, hielt sie die Bitte zurück. Stattdessen ließ sie ihrer Verzweiflung wieder freien Lauf.
    »Es ist zu spät!«, schrie sie. »Alles ist zu spät. Oh Gott, dreh die Zeit zurück! Stell sie zurück!«
    Könnte sie nur die Zeit zurückdrehen, könnte sie nur ihr Kind zurückbekommen – es halten, es wärmen -, sie würde all die Verachtung und Verbannung gelassen ertragen können.
    Die Tür ging auf, und ihre Eltern traten ein, gefolgt von Neugierigen, die draußen stehenblieben.
    »Aber liebes Kind!«, rief ihre Mutter aus. »Was ist denn? Hattest du einen Albtraum?«
    »Oh, Gott gebe, dass es ein Albtraum gewesen wäre«, schluchzte Charlotte. Aber sie schluchzte und weinte so heftig, dass niemand ihre Worte verstehen konnte.
    Die Mutter und die Kammerzofe tauschten die Plätze, die eine deutlich erleichtert, die andere ratlos angesichts dieser Situation.
    »Was geht hier vor, Elsbeth?«, fragte die Mutter leise.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete die Kammerzofe.
    »Ich begreife nichts. Sie sagt nur, dass es zu spät ist.«
    »Zu spät, Charlotte? Zu spät, um für dich einen Mann zu finden? Unsinn, du bist doch erst fünfundzwanzig.«
    »Nein, nein, ich will nicht heiraten«, schrie Charlotte. »Nie! Nein! Nie!«
    Die Mutter war ratlos. »Du sitzt viel zu viel zu Hause. Morgen machen wir einen Ausflug in den Wald. Es ist so...«
    Die Worte ließen Charlotte wie von Sinnen aufschreien.
    Sie schnappte nach Luft und schlug wie wild um sich, bis sie erneut, vollkommen erschöpft, auf das hübsch bestickte Kissen sank.
    »Sollen wir den Bader holen und ihn ein paar Schröpfköpfe aufsetzen lassen?«, murmelte der Vater. »Vielleicht muss das Blut von bösen Geistern gereinigt werden?«
    »Nein«, sagte Charlotte müde. »Es ist jetzt vorbei. Es war wohl nur ein Albtraum.«
    Ein erschöpfter Seufzer war alles, was zu hören war.
    Voller Sorge und Trauer verließen alle drei das Zimmer.
    »Sicherlich nur eine weibliche Unpässlichkeit«, ließ sich draußen im Gang die Stimme der Mutter vernehmen. »Das wird bald vorüber sein.«
    Dann schlössen sie vorsichtig die Tür hinter sich.
    Aber Charlotte wusste, dass nichts vorüber war, abgesehen von ihrem Anfall. Sie wusste, dass sie ihr ganzes Leben hindurch von der offenen Wunde und der Angst gequält werden würde – und die Gedanken würden in einsamen Nachtstunden wie trippelnde Kinderschritte zu ihr kommen.

5. Kapitel
    In der darauf folgenden Zeit bekam Silje die Erlaubnis, drei Mal in der Woche mit in die Kirche zu gehen. Benedikt wollte sie eigentlich jeden Tag dort haben, weil die Zeit langsam drängte. Die Leute würden ihn verfluchen, wenn er nicht bald fertig wäre. Er war wütend auf die, wie er sie nannte, »unwissenden, unkultivierten Barbaren«, die nicht begriffen, dass man einen Künstler nicht zur Eile antreiben durfte.
    Silje wollte jedoch auch einige Zeit mit den Kindern verbringen, damit sie den Kontakt zu ihnen nicht verlor. Außerdem wollte sie die alten Frauen zu Hause auf dem Hof entlasten. Aber jede hatte sich ein Kind ausgesucht, und sie schienen kaum etwas dagegen zu haben, dass Silje sich auf den Weg in die

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