Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
Hände fort und holte eine kleine Holzschachtel aus seinem Rock.
»Reib deinen Fuß heute Abend damit ein«, sagte er.
»Das zieht den Schmerz aus der Wunde.«
Er erhob sich, und der Raum war plötzlich viel zu klein und viel zu warm.
Silje dankte ihm. »Hat Benedikt Euch geholt?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er. »Nicht Benedikt. Ich habe ihn in der Kirche aufgesucht.«
In der Kirche? Oh Gott, nein!
»Doch, ich habe es gesehen«, beantwortete er ihre Gedanken.
Kein Kommentar. Nur eine Feststellung. Silje war froh, dass sie damit beschäftigt war, sich die Strümpfe wieder anzuziehen, sonst hätte sie nicht gewusst, wohin sie hätte gucken oder was sie mit ihren Händen hätte anfangen sollen. Sie wäre am liebsten gestorben.
Da er aber Anstalten zum Gehen machte, nahm sie sich zusammen. »Und der Säugling? Der Junge? Wird er sich anstecken?«
Er zögerte. »Lass ihn mich anschauen!«
Als er im Türrahmen an ihr vorüberging, spürte sie in ihrem Körper wieder diese seltsame Mattheit aus dem Traum. Das Licht der Abendsonne fiel für einen Augenblick auf sein Gesicht, das sie bis dahin nur im Halbdunkel gesehen hatte, und sie war erstaunt, wie sehr sie sich geirrt hatte. Es musste an den schlechten Lichtverhältnissen gelegen haben, die es so unheimlich, so alt und verblüht wirken ließen. Er war ein verhältnismäßig junger Mann – kein junger Bursche, er war im besten Mannesalter -, aber gleichwohl viel jünger, als sie ihn sich vorgestellt hatte.
Aber das Tierartige haftete ihm noch immer an, in den Augen, um den Mund und in den katzenartigen Bewegungen.
Sie folgte ihm über den Hof, betrachtete die große, schlanke Gestalt mit der überdimensionalen Schulterpartie. Er ging mit festen und sicheren Schritten vor ihr her. Auf der Treppe blieb er stehen und wartete, bis sie die Tür geöffnet hatte.
Als sie die Küche betraten, erhoben sich augenblicklich beide Frauen und verschwanden in einem anderen Zimmer. Der Knecht zog sich ans andere Ende des Raumes zurück – nur Benedikt blieb auf derselben Stelle sitzen. Auch er war nicht ganz unberührt. Silje fiel eine sonderbare, wachsame Starre in seiner Haltung auf.
»Na?«, sagte er.
»Sol wird wieder gesund!« Silje strahlte übers ganze Gesicht. »Aber er wollte sich gern auch Dag anschauen.«
Benedikt rief nach Grete und gab ihr eine Anweisung. Sie protestierte jammernd im Nebenzimmer.
»Aber er ist noch nicht getauft!«
Der gewaltige Mann aus der Wildnis antwortete: »Silje hat die Nottaufe vollzogen, als sie ihn gefunden hat. Das muss einstweilen reichen.«
»Ja, zum Teufel«, sagte Benedikt. »Grete, erinnere mich, dass wir zuallererst einen Geistlichen für das Kind suchen. Wir haben seine Seele allzu lange vernachlässigt.«
Er sagte es merkwürdig laut, wie Silje ihn noch nie zuvor gehört hatte.
Grete erschien im Türrahmen. »Ja, Herr Benedikt«, antwortete sie anklagend. »Wenn er nun gestorben wäre. Dann wäre seine Seele direkt in die...«
Sie warf einen verschreckten Blick auf den Gast.
Doch sie entfernte sich und kehrte mit dem Kind zurück. Dennoch widerstrebte es ihr, in den Raum hineinzugehen. Silje ging zu ihr, holte den Jungen und legte ihn dem Fremden in die Arme.
Er blickte sie seltsam wehmütig an. »Du bist vertrauensvoll. Deshalb werde ich mein Bestes geben. Aber ich möchte gern allein sein.«
Sie verließen die Küche. Silje warf einen Blick nach hinten. Es war so eigenartig, dieses wilde Tier, kolossal und massig, mit einem kleinen Menschenkind in den Armen zu sehen. Der Junge verschwand fast darin. Er sah mit wachsamen Augen zu dem Mann auf und begann zu schreien.
Silje fragte sich, ob sie etwas unverzeihlich Falsches getan hatte.
Aber das Kind verstummte bald. Sie warteten draußen in der Diele, sie, Benedikt und der Knecht, ohne ein Wort und ohne einander anzuschauen. Dann kam der Mann zu ihnen heraus. Er reichte Benedikt das Kind.
»Neugeborene haben einen eigenen Beschützer«, sagte der Fremde. »Die Pest hat es schwer, sich bei ihnen festzusetzen.«
Mehr sagte er nicht. Silje folgte ihm hinaus auf den Hof. Sie dachte, dass er es vielleicht so wünschte, weil er das Kind nicht ihr überreicht hatte.
»Ich weiß, wer Ihr seid«, sagte sie rasch.
»Das weißt du?«, fragte er, ein wenig skeptisch lächelnd.
»Ja, ich werde Euch nicht verraten. Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass ich Eure Freundin bin. Wenn Ihr einmal meine Hilfe brauchen solltet... Aber die braucht Ihr selbstverständlich
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