Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
erlosch. Er hatte sie doch nicht etwa vergessen?
»Ach ja, die kleine Menschenretterin«, ließ sich seine Stimme vernehmen, und dann streckte er den Arm aus und zog sie die letzten Stufen hinauf. Silje war ganz andächtig vor lauter Erwartung.
Aber um Himmels willen, wie sah er nur aus! Seine Kleider waren schmutzig und zerrissen, das goldene Haar war dunkel und verfilzt. Offenbar brauchte er ein anständiges Bad.
Aber das schien ihn nicht zu interessieren – »Silje, süßer Engel, dich schickt der Himmel. Hast du dich selbst zu meiner ständigen Lebensretterin ernannt?«
Sie senkte das freudestrahlende Gesicht, mochte jedoch nicht, dass er seine Spaße mit ihr trieb. »Iss nur, lang ordentlich zu!«
»Was gibt es denn?«, sagte er und lugte in den Korb. Er rümpfte die Nase. »Schon wieder Lachs! Können sich die Bauern nicht etwas anderes einfallen lassen als immer wieder Lachs?«
Doch er nahm, was vorhanden war, mit großem Appetit.
Silje fühlte sich etwas beklommen. Der freundliche Knecht zog jeden Tag Lachs aus dem Fluss, und er war stolz auf seinen Fang. Gewiss war es mitunter ein wenig einseitig, doch man musste dankbar sein, wenn man etwas zu essen bekam. Das ging schließlich nicht allen so.
Sie selber hatte auch noch nichts gegessen, und ihr lief das Wasser im Mund zusammen, als sie das letzte Stück Fisch verschwinden sah. Er hatte es jedoch nötiger als sie.
Als Heming mit seiner Mahlzeit fertig war, schaute er endlich auf und
sah
Silje richtig. In seinen Augen konnte sie Bewunderung lesen, und ihr wurde warm und wohlig. Heming sah sofort, dass er hier mit überflüssigem Getändel nicht weiterkommen würde. Dies war ein ernsthaftes und treuherziges Mädchen – eine Jungfrau, darauf würde er seinen Hut verwetten. Wenn er denn einen gehabt hätte.
Nun ja, von der Jungfernschaft würde er sie schnell befreien. Wenn er Zeit dazu hätte. Aber jetzt gab es wichtigere Dinge zu bedenken. Wie er sein Leben in Sicherheit bringen könnte, zum Beispiel.
Dennoch warf er einen Blick auf sie. Es würde wirklich lustig werden, diese junge Blütenknospe zur Frau zu machen. Sie war in jeder Hinsicht eine appetitliche Erscheinung. Sie roch sauber – mit einem leichten Duft von Farben -, und sie schien auch heißblütig zu sein, mit diesem warmen braunen Haar, den veilchenblauen Augen und den blitzweißen Zähnen hinter verlockenden Lippen, zart wie Rosenblätter.
»Setz dich ein Weilchen zu mir, Silje«, sagte er mit matter Stimme. »Ich bin so müde, und ich sehne mich nach einem Gespräch mit einem klugen Menschen.«
Sie gehorchte zögernd, setzte sich ein Stück entfernt von ihm an die Wand und zog den Rock über die Knie.
Auch wenn es ihr nicht bewusst war, so begriff sie instinktiv doch, wie schwierig die Situation war. Dass sie ihn vor einem erbärmlichen Tod gerettet und mit angesehen hatte, wie er ins Gesicht geschlagen und ein verdammter Idiot genannt wurde, tat seinem männlichen Selbstgefühl wohl nicht so gut und nun kam sie ihm erneut zu Hilfe, mit Essen für einen erbärmlichen, verwahrlosten armen Kerl. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie sein Selbstbewusstsein stärken musste.
»Ihr... Ihr seid Mitglied der Rebellenbewegung?«, fragte sie mit schüchterner Bewunderung.
Er schüttete das restliche Bier in sich hinein, das sie ihm gegeben hatte.
»Tja«, sagte er in einem betont lässigen Tonfall. »Ich bin bei denen einer der Anführer.«
»Oh«, sagte sie beeindruckt. Ihre Augen weiteten sich.
Das ermunterte Heming. Ziemlich gleichgültig betrachtete er seine schmutzigen Nägel. »Du weißt... Ich bekomme ja die gefährlichsten Aufträge. Das war der Grund, warum ich damals gefangen genommen wurde. Ich hatte mein Leben für andere riskiert.«
Das entsprach nicht ganz dem, was der mysteriöse Beschützer Silje erzählt hatte. Gedankenloser Besuch bei einer Frau, hatte er angedeutet. Silje aber wollte so etwas nicht hören.
»Er ist wirklich mächtig, Euer Herr«, sagte sie verträumt. »Er ist mir noch einmal zu Hilfe gekommen. Als das kleine Mädchen von der Pest befallen war. Ich weiß nicht, was er unternommen hat, aber er hat sie geheilt – und auch meinen erfrorenen Fuß. Seine Hände fühlten sich brennend heiß an.«
Heming starrte sie an. »Wer? Ach so,
nein
Du irrst dich«, rief er heftig aus. »Er ist nicht mein Herr, ich kenne ihn nicht, bin ihm nie begegnet
Silje begriff, dass sie zu weit gegangen war. Niemand hatte schließlich das Recht, von Dyre Alvssohn zu sprechen,
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