Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
hatte Angst vor dir.«
»Selbstverständlich. Er ist sich meiner nicht sicher. Er glaubt, ich habe die Macht, ihm zu schaden, und in dem Glauben lasse ich ihn auch.«
»Hast du diese Macht?«
»Das möchte ich nicht darauf ankommen lassen.«
Wie gespalten sein Geist sein muss, dachte sie.
»Aber hat er denn überhaupt einen Grund, das zu glauben? Das ist doch vollkommen grotesk!«, rief sie heftig aus.
»Du hast die anderen aus meinem Geschlecht nicht gesehen«, murmelte er verbissen. »Dann würdest du nicht so reden.«
Silje schüttelte nur erschöpft den Kopf.
»Aber sag mir... sowohl du als auch Heming... es macht den Eindruck, als ob ihr gebildet seid. Du hast einen so großen Wortschatz. Woher kommt das?«
»Ungefähr so wie bei dir«, lächelte er schief. »Ich erhielt Unterricht aus zweiter Hand.«
»Woher weißt du, dass es bei mir so war?«
»Benedikt.«
Silje biss die Zähne zusammen. »Was ist er doch für eine alte Plaudertasche.«
»Ja, er hat eine ganze Menge von dir erzählt«, gestand Tengel.
»Und du hast zugehört?«
Darauf gab er keine Antwort.
»Na, wie war das nun mit deinem Unterricht?«
Tengel schien heute Lust zum Erzählen zu haben. Ihr ging auf, dass es nur wenige gab, mit denen er reden konnte.
»Ja, einer von unseren Männern wanderte vor ungefähr fünfzig Jahren aus und studierte in Trondheim. Er war sehr klug. Als er alt geworden war, kehrte er zurück – und seitdem hatten wir bei uns eine Art Schule. Ich habe viel von ihm persönlich gelernt, er glaubte gewiss, ich hätte gute Anlagen.«
»Da bin ich mir ganz sicher.«
»Und Heming erhielt natürlich ebenfalls Unterricht, er ist schließlich der Sohn des Häuptlings. Obwohl er von den Schülern des Alten lernte; der Alte selbst war da schon tot. Doch selbstverständlich sind nicht alle aus dem Eisvolk an solchen Fertigkeiten interessiert.«
»Wie alt bist du eigentlich?«
Siljes Herz hämmerte. Das wollte sie gern wissen.
»Ist das von Bedeutung?«
»Vielleicht! Aber ich habe mich oft darin getäuscht. Es ist so schrecklich schwer zu erraten.«
»Ich bin... Ja, wenn ich das wüsste. Zwischen zwei- und fünfunddreißig, glaube ich. Zweiunddreißig ist gut geschätzt. Vielleicht dreiunddreißig.«
»Und ich bin vor Kurzem siebzehn geworden«, beeilte sich Silje zu sagen.
Er wandte sich ab, damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte.
Kurz darauf waren sie am Waldrand. Sie hielten inne, beide blieben stehen und schauten über das Dorf. Keiner von beiden hatte Lust aufzubrechen.
»Silje, ich muss jetzt wieder zu meinem Volk zurück
»Nein, du darfst nicht fort!« Sie sagte es, bevor sie nachgedacht hatte. Nun hätte sie sich die Zunge abbeißen mögen.
»Ich muss. Ich war schon viel zu lange fort. Wenn die Frühlingsüberschwemmung da ist, sind alle Wege dahin versperrt. Ich muss vorher dort sein. Du, ich habe über Benedikt nachgedacht. Vielleicht solltest du ihn doch heiraten. Du magst ihn, und dann wären du und die Kinder ein Leben lang sicher. Und ich könnte euretwegen beruhigt sein. Er ist alt, er wird nichts von dir wollen, was du... nicht zu geben bereit bist.«
»Aber das ist doch genau das, was er getan hat!«, sagte sie verzweifelt.
»Was?«
»Er ist ein sympathischer Mann, wenn er nüchtern ist. Aber er war betrunken – und wollte...«
»In dein Bett kommen?«
»Ja«, sagte sie beschämt.
Tengel umfasste seinen Gürtel so fest, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. Er starrte auf den Hof hinunter.
»Tengel, ich werde dafür sorgen, dass das nicht wieder vorkommt«, sagte sie ängstlich. »Und Herr Benedikt weiß nichts davon, dass er es versucht hat, er hat alles vergessen. Er war so schrecklich betrunken. Aber ich... kann ihn nicht heiraten.«
»Nein, das kannst du nicht«, sagte er nachdrücklich.
»Und die Frau, die gekommen ist... und Sol, meine kleine Nichte... Ich würde gerne bleiben. Aber ich muss jetzt fort. Pass gut für mich auf Sol auf, Silje! Sie hat es bei euch besser als bei mir, sodass es das Beste ist, wenn du sie bei dir behältst. Willst du?«
Silje nickte.
»Danke«, sagte er einfach. »Zum Herbst komme ich wieder, um nach euch zu sehen.«
»Es ist noch so lange bis zum Herbst.« Ihre Stimme war traurig.
»Auf Benedikts Hof bist du sicher. Er wird sie schon noch auf ihren Platz verweisen, du wirst sehen. Benedikt ist immer sein eigener Herr gewesen.«
»Du brichst doch nicht sofort auf?«
»Nein, ich bleibe noch eine Weile – um zu sehen, wie es sich mit
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