Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
und christlicher Name war, waren alle einverstanden. Silje aber erwähnte mit keiner Silbe, dass das Mädchen aus dem Geschlecht des Eisvolkes stammte.
Silje fand, dass auch Dag zwei Namen bekommen müsste, weil auf dem Hemd, in dem sie ihn gefunden hatte, zwei Buchstaben standen. Sie gab ihm den adeligsten Namen, den sie sich vorstellen konnte, Dag Christian.
Die größte Aufregung gab es jedoch, als Sol aus dem Raum gebracht werden sollte. Mit klarer und lauter Stimme rief sie aus: »Der blöde Pfaffe hat mir Wasser auf den Kopf gekippt!«
Zum Glück war der Pastor viel zu sehr mit dem schreienden Dag beschäftigt, um auf Sol zu achten. Marie war erschüttert. »Das ist der schreckliche Knecht«, murmelte sie. »Sol macht ihm alles nach.«
Auch Silje war entsetzt. Nur Benedikt fiel es schwer, ernst zu bleiben.
Nun waren immerhin die Kinder in den Schoß der Kirche gelegt worden, und Abelone konnte wieder aufatmen. Jetzt würden keine Unterteufel mehr unter den Betten lauern.
Aber trotzdem wurde es nicht leichter, es mit Abelone im Haus auszuhalten. Alle auf dem Hof wussten, dass sie nach einer Gelegenheit suchte, Silje und die Kinder loszuwerden. Ihr Sohn sprach es einmal sogar unumwunden aus.
Er saß in der großen Stube und hatte nach mehr Bier verlangt.
Silje kam mit der Kanne. Er schnitt sich ein großes Stück Weihnachtsschinken ab. Höhnisch blickte er sie an, während sie einschenkte, und Silje wurde so nervös, dass sie einen Tropfen verschüttete. Er fuhr sogleich auf.
»Pass doch auf, du Schlampe! Willst du mir vielleicht meinen Tisch ruinieren?«
»Entschuldigung«, murmelte Silje und versuchte, die Wut zu zähmen, die in ihr aufstieg.
»Ja, du bildest dir doch wohl nicht ein, dass all das eines Tages dir mal gehören wird? Das war es doch, was du dir ausgerechnet hast, als du dich hier eingeschlichen hast? Einen alten Mann – den man leicht um den Finger wickeln kann, was?«
Diese Worte hat er von seiner Mutter, dachte Silje.
»Aber das eine kann ich dir versprechen, dass du und diese verlotterten Kinder von hier verschwinden werden. Schneller, als du glaubst! Auuu!«
Er schrie auf und hielt sich die linke Hand. Blut rann zwischen seinen Fingern. Sol verschwand rasch aus dem Zimmer.
»Habt Ihr Euch geschnitten?«, fragte Silje erschrocken.
»Ich mich?«, heulte er. »Ich habe nichts getan! Sie war es, diese Göre, die wollte es! Ich habe es gesehen! Ich habe es gesehen!«
»Dummes Zeug«, sagte Silje, ihr Gesicht jedoch war einen Hauch blasser geworden. »Das Mädchen stand doch an der Tür, weit von Euch entfernt.«
»Ja, aber sie war es, ich weiß es! Sie schaute mich an, und dann blitzte das Messer.«
»Hat man schon einmal solchen Unsinn gehört?«, sagte Silje zornig. »Grete, komm her und kümmere dich um diesen Waschlappen, bevor er in Ohnmacht fällt! Er schreit wie ein... Ja, wie das, dem er ähnlich sieht.«
Grete kam, und Silje verließ das Zimmer. Sie suchte Sol und fand sie auf einer Bank kniend am Fenster.
Als Silje den Raum betrat, wandte Sol sich zu ihr um. Silje holte tief Luft. Ihre Augen...
Sie leuchteten grün vor Hass – und von etwas anderem, was Silje noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte und von dem sie hoffte, dass sie es in ihrem Leben niemals wieder sehen müsste. Als Sol entdeckte, dass es Silje war, erlosch der Hass in ihren Augen, und sie streckte ihr die Arme entgegen. Silje nahm sie auf den Arm.
»Sol«, flüsterte sie mit steifen Lippen, starr vor Schreck und Kummer. »Kleine Sol, das darfst du nie, nie wieder tun.«
»Warum nicht?«, fragte Sol unschuldig. »Ich habe nichts getan. Der Mann ist doof.«
»Ja, das ist er, aber
»Ich will nicht, dass er hier wohnt. Und auch nicht die beiden fremden Damen.«
»Das wollen wir alle nicht, mein Kind, aber wir müssen uns damit abfinden. Versprich mir, lieb zu ihnen zu sein, Sol! Versprich mir das!«
Das Mädchen schlang seine kleinen Arme um Siljes Hals und lächelte niedlich. »Sol lieb«, sagte es.
Oh mein Gott, dachte Silje. Tengel, Tengel, ich muss mit dir sprechen. Oder nein, übrigens – das darfst du nicht hören.
Was soll ich nur tun? Was für eine übermenschliche Aufgabe, dieses kleine unglückselige Kind aufzuziehen!
Benedikt war tief deprimiert. Nicht einmal die Kirchenmalerei machte ihm mehr Freude.
»Ich bringe dieses verfluchte Weibsbild um«, murmelte er ständig vor sich hin. »Ich bringe sie um!«
Eines Tages hatte er auch tatsächlich versucht, Abelone und die
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