Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
gefährlicher Gast.
Hätte sie den Anlass seines Besuches gekannt, dann wäre sie noch vorsichtiger gewesen. Am Abend zuvor hatte Heming mit anderen jungen Männern aus dem Tal gefeiert. Und beim Trinken hatten sie angefangen, über Silje zu reden. Es stellte sich heraus, dass nicht nur der Bratteng-Junge sich versucht hatte, sondern auch einige andere – ohne dass sie gewagt hätten, so weit zu gehen. Nein, mit diesem Mädchen war nichts anzufangen.
Heming hatte den geworfenen Handschuh sofort aufgegriffen.
»Ich hätte sie einmal haben können«, sagte er träge. »Aber dann habe ich sie beleidigt. Hab ihr ein paar Wertsachen gestohlen, anstatt ihre Unschuld zu rauben. Aber... ich kann sie flachlegen, wenn ich will. «
Die anderen glaubten ihm nicht. Und das Ende vom Lied war, dass er nun bei ihr war, während die anderen im Verborgenen auf der Lauer lagen und gespannt darauf warteten, was sich dort unten im Hof abspielte.
Sie sahen, dass Heming eingelassen wurde. Das war nicht schlecht für den Anfang. Dreist schlichen sie sich näher, versteckten sich hinter dem Schuppen und lachten sich eins ins Fäustchen.
Silje war sich schnell darüber im Klaren, was Heming vorhatte. Sie bat ihn zu gehen. Um des Häuptlings und der alten Freundschaft willen wollte sie keinen Streit.
Er grinste nur höhnisch. Das meinte sie doch nicht wirklich.
Doch als sie auf die Tür zuging, um sie für ihn zu öffnen, sprang er auf. Er packte Silje und hielt ihre Arme fest. So viel hatte er doch von ihrem Kampf mit dem Bratteng-Jungen gelernt.
Ursprünglich hatte er sich vorgenommen, sie langsam und behutsam für sich zu gewinnen – denn Gewalt betrachtete er trotz allem als verachtenswerte Notlösung –
das
hatte er nie nötig gehabt, um eine Frau zu bekommen. Die lauernden Burschen dort draußen aber versetzten ihn in Panik.
Silje war unerwartet stark, und sie war wütend. Sie biss ihn in den Arm, dass er aufstöhnte, doch aufgeben wollte er nicht. Er warf sie auf den Fußboden, sich vollkommen klar darüber, dass viele Mädchen willig wurden, wenn sie erst einmal erregt waren. Sie kämpften stumm und verbissen miteinander.
Heming war sich so sicher, dass er am Ende siegen würde, dass er mit gewissen Vorkehrungen begann. Da erstarrte Silje. Im letzten Augenblick gelang es ihm, seine Hand auf ihren Mund zu legen – damit sie nicht schreien konnte.
Doch dadurch bekam sie einen Arm frei, und sie zögerte nicht, ihn auf die schlimmste Weise zu benutzen. Heming gab einen Schmerzensschrei von sich – und zugleich kam Tengel zur Tür herein.
Die jungen Burschen waren wie aufgescheuchte Hühner in alle Richtungen geflüchtet, als er groß und beängstigend über den Hof gekommen war. Er entdeckte sie und erwägte kurz, ihrer Anwesenheit auf den Grund zu gehen, doch dann hörte er Hemings Schrei.
Er stürmte durch die Tür und sah sofort, was hier vor sich ging. Er streckte den Arm aus und zog Heming am Hemdkragen hoch, sodass er Heming fast erwürgt hätte.
Silje stand wankend auf. Mit Tränen in den Augen ordnete sie ihr Kleid und versuchte, ihr Haar zu richten.
Tengel war unbeschreiblich wütend. So unheimlich hatte Silje sein Gesicht noch nie zuvor gesehen. Vor Schreck stieß Heming abermals einen Schrei aus.
»Tu mir nichts!«, jaulte er. »Verfluch mich nicht, Tengel, tu mir nichts Böses an, das war nur ein Scherz, ich...«
»Was ist dir lieber?«, presste Tengel hervor, ganz weiß im Gesicht. »Dass ich dich schlage... oder dass ich andere Kräfte einsetze?«
»Schlag mich! Schlag mich um Gottes willen, wenn du musst. Aber ich hatte nicht vor
»Dann kannst du ja auch deine Hose wieder anziehen!«, schrie Tengel, und Heming gehorchte sofort. Als Tengel sich ihn wieder vornahm, schrie er: »Nein! Schlag mich nicht, schlag mich nicht, das ist sie nicht wert! Sie ist nur eine...«
Tengels Arm holte aus. Ein ums andere Mal schlug er zu, vollkommen außer sich vor Zorn, bis Silje versuchte, ihn zu besänftigen.
Heming sank wie ein blutiger Sack zu Boden. Tengel hob ihn auf und warf ihn auf den Hof hinaus.
»Nehmt ihn wieder mit!«, schrie er den jungen Männern zu, die starr vor Schreck oben am Waldrand gewartet hatten.
Dann ging er wieder hinein. »Wie geht es dir, Silje?«, fragte er atemlos. »Hat er dir etwas angetan?«
Sie stand mit dem Rücken zu ihm und lehnte mit den Armen am Schrank. Sie zitterte am ganzen Körper. »Nein, nein, das hat er nicht. Danke, dass du gekommen bist! Du hast anscheinend die
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