Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
Angewohnheit, immer dann zu kommen, wenn ich dich brauche. «
»Ja. Ich war besorgt und beschloss, früher als sonst zu kommen. So... weine nicht, meine Kleine, es ist jetzt vorbei.«
Sie holte tief Luft. »Ich weine nicht. Nicht wirklich, jedenfalls. Aber ich konnte nicht mit ansehen, wie... wie du ihn geschlagen hast. Er hat es wirklich verdient, aber ich will nicht mit ansehen, wie du jemanden schlägst.«
Tengel schloss die Augen. »Danach war mir schon lange zumute, Silje. Nicht nur mir, sondern jedem Menschen hier im Tal, glaube ich. Früher oder später musste jemand ihm energisch auf die Finger klopfen. Ich bedaure, dass ich das sein musste, aber ich habe rotgesehen. Aber ich will dich gern um Verzeihung bitten, dass du das mit ansehen musstest, Silje.«
Er trat einen Schritt auf sie zu.
»Ich verstehe«, murmelte sie. »Dag braucht mich«, fügte sie rasch hinzu. Sie spürte, dass sie Tengels Arm jetzt nicht ertragen würde.
Sie nahm Dag auf den Arm und tröstete ihn. Er hatte während ihres gesamten Kampfes mit Heming geweint, aber da hatte sich niemand um ihn kümmern können. Silje wiegte ihn in ihren Armen und versuchte, ihn zu beruhigen.
Tengel ging zum Guckloch und zog den Holzpfropfen heraus. Er sah, wie die Burschen Heming fortschleppten. Sie hielten ihn an den Armen über ihren Schultern aufrecht, und er schwankte kraftlos zwischen ihnen.
»Du müsstest es hier drinnen heller haben«, sagte er, wobei er den Holzpfropfen wieder zurücksteckte. Er blieb stehen und schaute sich unsicher um, vollkommen bewusst, dass sein Vorgehen ihr zu schaffen machte.
»Da sehe ich dein schönes Fenster. Vielleicht sollte ich ein neues Fenster aussägen
Sie hatte das Fenster auf den Schrank gestellt, und Tengel blieb stehen und berührte das feine Mosaik, das Benedikt angefertigt hatte.
»Nein«, sagte er langsam.
»Was meinst du?«
»Nein, dieses Fenster passt hier nicht hinein.«
»Jetzt verstehe ich dich nicht.«
»Das ist für eine ganz andere Wand gemacht. Für eine ganz andere Art von Haus als dieses hier. «
»Meinst du, wir haben kein Anrecht darauf?«
Tengels Gesicht bekam einen abwesenden Ausdruck.
»Doch«, sagte er schließlich, »es ist doch deins.«
»Hast du eben in die Zukunft gesehen?«, fragte Silje leise und zitternd.
»Ja, das hab ich wohl getan. Ich spürte plötzlich einen gewaltigen Widerwillen in mir, das Fenster hier einzusetzen. «
Zwischen ihnen wurde es ganz still.
Dann richtete Tengel sich auf, als wolle er damit alles von sich abschütteln.
»Nein, lass mich dir etwas helfen, während ich hier bin. Ich gehe Wasser und Holz holen. «
»Gut. Dann wechsle ich Dag die Windeln.«
Als Eldrid wenig später mit Sol zurückkam, war alles wie zuvor. Über Hemings Besuch wurde nicht ein einziges Wort verloren.
13. Kapitel
Nachdem alle gegangen und die Kinder im Bett waren, holte Silje das Skizzenbuch hervor, das sie von Benedikt bekommen hatte. Niemand, nicht einmal Tengel, wusste, was sie damit gemacht hatte.
Sie strich mit der Hand über den Buchdeckel, auf den sie eine kleine, schöne Skizze des Tales des Eisvolkes gezeichnet hatte. Dann schlug sie das Buch auf.
Sie hatte daraus eine Art Tagebuch gemacht – bis jetzt aber nur dann darin geschrieben, wenn sich ihrer Meinung nach etwas Besonderes ereignet hatte. Mit zierlicher Schrift und vielen Schreibfehlern, über die der Lehrer auf dem Gut, hätte er sie zu Gesicht bekommen, in Tränen ausgebrochen wäre, schrieb sie nun auf:
Heute hape ich wider eine von Tengels verborgenen Eigenschaften entdeckt. Er hilt die Hand auf mein Fenster und sah die Zukumpft voraus...
Sie schrieb auch über einige andere Vorkommnisse, die für sie wichtig waren, und dann schlug sie das Buch zu und versteckte es gut. Mit hundert Gedanken im Kopf zog sie sich aus und kroch in das einsame Bett.
Tengel ging an jenem Abend nicht zu sich nach Hause. Rastlos und verzweifelt wanderte er in den Bergen umher her und versuchte, all seine vielen besorgten Gedanken zu sortieren.
Als er so lange gelaufen war, dass der blasse Mond schon aufgegangen war, hielt er inne. Er stand ganz still, das Gesicht in seinen Händen verborgen.
»Oh Gott«, flehte er, »barmherziger Vater, sieh dein unglückliches Menschenkind. Hilf mir, rate mir, gib mir ein Zeichen! Was soll ich nur tun? Ich liebe sie so sehr, Vater, und ich halte es nicht aus, von ihr getrennt zu sein. Du weißt, dass sie und die Kinder meine Hilfe brauchen, ohne mich sind sie wehrlos, und ich
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