Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
gehört, dass er gefangen genommen worden war, und deshalb musste ich Leute haben, um ihn zu befreien. Die anderen ritten sofort wieder hierher zurück. Auf Wiedersehen, Silje. Pass gut auf dich auf!«
Er ging. Es gab nichts, was sie hätte tun können, um ihn noch länger zu halten.
Aber er kam jetzt häufiger. Jeden Tag schaute er vorbei, um sich zu vergewissern, dass es ihnen gut ging und dass kein Lümmel kam, um ihr etwas Schreckliches anzutun.
Silje war äußerst dankbar, dass der Winter nun ernsthaft seinem Ende entgegenging. Die anderen behaupteten, dass das ein überaus milder Winter gewesen sei, aber sie stimmte ihnen darin nicht ganz zu. Doch von wilden Tieren waren sie verschont geblieben.
Manchmal war es im Winter so kalt, dass Wolfsrudel über den Gletscher kamen, und dann konnte es für das Eisvolk kritisch werden. Dieses Jahr jedoch nicht, zum Glück. Dank Tengel und Eldrid war es dem Winter auch nicht gelungen, Silje zu besiegen. Sie brauchte ihre Kräfte noch immer, um es mit der äußerst anstrengenden Sol aufnehmen zu können und Dag am Leben zu erhalten. Er war für das harte Leben in den Bergen schlecht geeignet.
Doch Eldrid machte sich Sorgen. Die Vorräte gingen langsam zur Neige, und sie selbst war ganz abgearbeitet nach all den Jahren, die sie den Hof allein bewirtschaftet hatte. Silje half ihr jeden Nachmittag im Viehstall, um sie etwas zu entlasten. Die beiden Frauen kamen einander sehr nahe, und Eldrid gegenüber traute sie sich, ihre Sehnsucht nach Tengel zuzugeben.
»Tengel ist so dumm«, sagte Eldrid. »Wie gut er es doch bei dir haben könnte! Aber ich verstehe ihn ja auch. Ich habe von dem bösen Erbe mehr gesehen als du. Ausreichend genug, um niemals Kinder in die Welt setzen zu wollen.«
»Weißt du, Eldrid, ich konnte das mit dem bösen Erbe nie so recht glauben. Ich glaube nicht, dass es Zauberei gibt, und ich glaube auch nicht an Hexen. Ich weigere mich, das zu glauben.«
Eldrid richtete sich auf. Ihre Augen wurden verträumt. »In gewisser Hinsicht hast du Recht. Nicht Zauberei und Hexerei sind die größte Gefahr bei der Kraft, die sie erhalten haben, sondern der böse Wille. Dass sie meinen, sie seien imstande, Mensch und Tier Schaden zuzufügen. Daran zerbrechen so viele meiner Verwandten. Und dagegen kämpft Tengel.«
»Ich glaube, er macht sich ohne Grund so viele Gedanken«, sagte Silje voller Überzeugung. »Ich glaube nicht, dass er etwas von dieser Kraft hat – abgesehen von seinen heilenden Händen, denn die habe ich mit eigenen Augen gesehen, und es ist doch nichts Schlimmes dabei, wenn man anderen hilft!«
Eldrid wandte ihr den Blick zu, sah aber noch immer abwesend aus. »Tengel? Sei froh, dass er so ist, wie er ist! Ich habe ihn Dinge tun sehen... In seiner Kindheit und frühen Jugend. Aber dann wurde er von irgendetwas abgeschreckt, ich weiß nicht, was es war... und versuchte, davon loszukommen. Hanna ist wütend auf ihn, weil sie meint, er habe eine große Begabung. Nein, Tengel weiß genau, was er tut, wenn er sich nicht an eine Frau binden will. «
Silje schaute sie an, aber Eldrid sagte nichts mehr. Sie machte sich daran, eine der Kühe zu melken, und griff so fest zu, dass die Kuh sie zu treten begann. Silje seufzte. Sie sah ihre ganzen Hoffnungen dahinschwinden.
Die Schneeschmelze setzte ein. Flüsse und Bäche traten über die Ufer, der Schnee wurde porös und grau. Die Ausläufer des Sees traten über die Ufer, und der Fluss unter dem Gletscher füllte nahezu den gesamten Tunnel aus. Die Hauswände dufteten nach sonnenerwärmtem Teer, und Sol, die draußen war und in den Rinnsalen auf dem Hof herumstocherte, bekam eine braune, frische Gesichtsfarbe. Der Frühling war schneller als erwartet gekommen. Mit der Zeit sank der Wasserstand – und der Weg zur Außenwelt war wieder frei.
Und Eldrids Hoffnung stieg. Vielleicht würde der Vorrat doch noch reichen, bis sie die Tiere auf die Weide lassen konnten.
Silje bekam Besuch. Es war Heming.
Das gefiel ihr gar nicht. Sol war bei Eldrid, sodass sie mit Dag allein war. Der schöne Heming hatte noch immer etwas Macht über sie, wie wahrscheinlich über alle Frauen, die ihm begegneten. Doch Silje brachte ihm keine warmen Gefühle entgegen. Sie hatte zu viel von seiner Verantwortungslosigkeit und Unfähigkeit erlebt.
Doch trotzdem musste sie sein Aussehen bewundern – das strahlende Lächeln und die Augen, die zu sagen schienen, dass gerade
sie
ihm etwas bedeutete.
Er war ein
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