Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd
Blumenstrauß ordnete. Er konnte sich nicht helfen, aber er empfand ein gewisses Mitleid mit ihr. Äußerlich so wenig attraktiv, so vergrämt und versteinert in jungen Jahren - aber mit einem solch warmen Herzen! Das mußte weh tun. Er beschloß, ihr ein treuer Freund zu sein, so lange sie ihn brauchte.
»Aber wir sind abgeschweift«, sagte er rasch. »Ich… ich kann ein solch unglaublich großes Geschenk nicht annehmen.«
»Versucht es aus meiner Sicht zu sehen! Mein Leben in diesen fünf Jahren war ein Ozean voller Schmerz. Und das Geschenk ist auf gewisse Weise auch ein wenig egoistisch. Ich kann dann ja in der Nähe meines Sohnes sein. Und wenn die Zeit gekommen ist, wird er Grästensholm erben.«
Wenn Tengel nicht schon gesessen hatte, wäre er spätestens jetzt vor Überraschung auf einen Stuhl gesunken. »Das ganze große Anwesen? Mit den Ländereien und den Wäldern und allem?«
»Sehen wir doch den Tatsachen ins Auge, Herr Tengel: Ich werde niemals heiraten. Mit dem Jungen hat mein Leben einen Sinn bekommen. Wenn es Gottes Wille ist, kann ich ihn in einigen Jahren zu mir nehmen. Aber er muß freiwillig kommen, mein Geschenk an Euch ist kein Tauschgeschäft.«
Es dauerte eine Weile, bis Tengel sagen konnte, was er dachte. »Ihr seid ein ungewöhnlich edelherziger Mensch, Euer Gnaden«, sagte er langsam und warm.
»Bin ich das?« sagte sie mit einer Spur Bitterkeit. »Wenn dem so ist, dann wart Ihr und Silje und Eure kleine Familie es, die mir den Weg dahin gezeigt haben.«
Schließlich waren alle Papiere unterzeichnet, und Tengel verabschiedete sich.
»Habt Ihr keine anderen Wünsche?« fragte Charlotte.
Er hielt auf dem Weg zur Tür inne. »Als ob dies hier nicht schon genug wäre«, lächelte er. Aber dann wurde er ernst. »Doch, vielleicht habe ich einen.«
»Sagt ihn nur!«
»Ich könnte es selbst erledigen, aber ich brauche Euren Rat und Eure Hilfe, um… Es ist so, müßt Ihr wissen, daß Silje einmal einen Traum hatte. Sie wollte so gerne eine Lindenallee vor ihrem Haus haben. Das war natürlich ein ganz wirklichkeitsfremder Traum, denn sie träumte ihn in den schlimmsten Notzeiten im Tal des Eisvolks. Aber jetzt… Könntet Ihr mir dabei helfen, ihr die Freude zu machen? Falls Ihr mir nur die kleinen Lindenbäumchen beschaffen könntet, dann …«
»Aber natürlich! Ich werde mich danach erkundigen. Das dürfte leicht zu machen sein.«
Zwei Wochen später war Tengel vollauf damit beschäftigt, tiefe Löcher zu beiden Seiten des Weges hinauf zum Haus zu graben. Vorläufig hatte er sechs Löcher ausgehoben, denn im Augenblick waren nicht mehr Bäumchen zu beschaffen gewesen. Silje und die Kinder sahen ihm zu.
»Der ist für mich, denn ich bin der Hausherr«, sagte er lächelnd, als er den ersten Baum einsetzte. Die Kinder schaufelten das Loch wieder mit Erde zu, und alle zusammen traten sie das Erdreich um den dünnen Stamm fest.
»Und der ist für Silje«, sagte er und ging auf die gegenüberliegende Seite des Weges.
Dann bekam Sol einen Baum. Und Dag. Und Liv.
»Und der letzte… ?« sagte er und sah zu Silje hinauf.
»Der letzte ist für Fräulein Charlotte«, sagte sie rasch.
Tengel lächelte. »Du nimmst nichts vorweg, wie ich merke.«
»Nein«, lächelte sie ein wenig unsicher zurück.
»Für Fräulein Charlotte«, sagte er feierlich.
»Weil sie so nett ist«, fügte Sol hinzu.
Aber Silje gefiel nicht recht, was Tengel anschließend tat.
Während die anderen zum Haus zurückgingen, blieb er bei seiner kleinen Allee. Er ging von Baum zu Baum, und es sah ganz genau so aus, als würde er jeden einzelnen davon besprechen.
7. KAPITEL
Es dauerte seine Zeit, bis Tengel richtig begriff, daß dieser große Hof der ihre war. Daß es sein Name war, der in den Papieren stand. Aber als er es endlich verinnerlicht hatte, ging er eines Abends, nachdem die anderen zu Bett gegangen waren, lange um seinen Besitz herum und berührte die Wände seines Besitzes, verwundert und respektvoll.
Das hier ist meins, dachte er und liebkoste das Holz mit den Händen.
Er schritt über den Hofplatz, berührte den Baum, der dort stand, ging zum Brunnen, in die leeren Nebengebäude, und seine Brust war so erfüllt von Glück, daß er ein Gefühl hatte, als würde sie zerspringen. Ihm hatte ja der ererbte kleine Berghof im Tal des Eisvolks gehört, aber dies hier war etwas ganz anderes. Dies waren Dimensionen, die er sich nie hätte träumen lassen. Im Unterbewußtsein begann er zu planen, was alles
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