Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd
untersucht, während er schlief?
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte sie: »Weißt du, ich brauche nur meine Hand auf deine Haut zu legen, dann fühle ich an den Strahlen, die dagegen vibrieren, ob du krank bist oder nicht. Ich erkenne es auch am Geruch eines Menschen. Tengel hat diese Fähigkeit auch.«
»Seid Ihr die, die Sol heißt? Der kleine Junge erwähnte den Namen.«
»Ja. Aber sag nicht Ihr zu mir, das hört sich albern an, ich bin doch keine alte Matrone! Tengel ist mein Onkel. Aber er und Silje haben sich um mich und Dag gekümmert - er lebt jetzt auf Grästensholm - seit wir ganz klein waren, und keine leiblichen Eltern hätten uns mehr Liebe geben können. Es kommt natürlich vor, daß sie mit mir schimpfen, weil ich nicht so brav bin wie Dag, aber ich weiß, daß sie schimpfen, weil sie mich lieben und Angst haben, ich könnte auf die schiefe Bahn geraten. Ich bin ein bißchen wild, weißt du, und meistens mache ich, was ich will.«
Johan richtete sich auf und stützte sich auf die Ellbogen.
Jetzt konnte er mit dem Verhör beginnen. Sie lud ihn ja direkt dazu ein!
»Was du über deine Hände gesagt hast, das war merkwürdig. Wie ist das möglich?«
Sie antwortete bereitwillig: »Das kommt daher, daß wir aus einem Familiengeschlecht stammen, das diese Fähigkeit hat.«
Johan entschied sich, alles auf eine Karte zu setzen. »Ich habe auch ein merkwürdiges Gefühl. Mein einer Arm ist vom Ellbogen bis zum Handgelenk irgendwie gefühllos.
Auf der Haut.«
Das war gelogen, aber es war einer der wichtigsten Punkte. Das Kennzeichen einer Hexe war, daß sie irgendwo am Körper ein gefühlloses, lebloses Mal trug.
Das hatte sie vom Satan persönlich erhalten. Dieses junge Mädchen würde direkt in die Falle laufen, wenn er sie mit einer Enthüllung lockte, die sie glauben ließ, daß sie etwas gemeinsam hatten.
Aber Sol zeigte nur freundliches Interesse. »Wie sonderbar! Heißt das, daß du überhaupt nichts fühlst?«
»Nichts.«
Sie schlug ihm eisenhart gegen den Arm, so daß er sich heftig auf die Zunge beißen mußte, um nicht zu schreien.
»Nein, ich fühle nichts«, log er.
»Eigentlich bist du gar nicht häßlich«, sagte sie und sah ihn forschend an. »Wenn du nur nicht so kurze Haare und so schmale Lippen hättest, würdest du direkt gut aussehen. Obwohl, nicht so gut wie Klaus. Er arbeitet oben auf dem Gut. Ich glaube, ich bin ein bißchen verliebt in ihn. Bist du schon einmal verliebt gewesen?
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Verliebtheit ist, was ich fühle. Warst du es?«
»Bist du nicht ein wenig jung, um verliebt zu sein?« sagte er ablenkend. Außerdem schien ihm dieser Klaus kein sonderlich netter Bursche zu sein.
»Ich werde bald fünfzehn.«
Lieber Gott, dachte er. Sie ist ja noch ein Kind! Eine bezaubernde Mischung aus Unschuld und Frühreife.
Er sagte sachlich: »Dein Bruder hat gesagt, daß du zauberst. Du kannst Dinge verschwinden lassen.«
Sol lachte. »Ach, Are? Dem kann man jeden Bären aufbinden. Halte mal die Kerze, dann werde ich dir etwas zeigen!«
Sie nahm einen Keks vom Teller und zeigte ihm den in der offenen Hand. Dann schloß sie die Hand, lenkte seine Aufmerksamkeit mit eifrigem Geplauder ab - und schwupps, da war der Keks verschwunden.
Johan fühlte eine kalte Welle von Unbehagen durch seinen Körper rollen. Wenn das keine Zauberei war, dann wußte er auch nicht.
Das klangvolle Lachen war wieder zu hören. »Jetzt werde ich dir zeigen, was ich gemacht habe.«
Und als sie das ganze langsam wiederholte, wurde Johan rot vor Scham. So einfach war das also. Überhaupt keine Hexenkunst!
Insgeheim bat er seine Auftraggeber um Vergebung für die Erleichterung, die er sofort verspürte. Es war das erste Mal in seiner Laufbahn als Hexenfänger. Sonst hatten sie meist jedesmal große Feste gefeiert, wenn sie wieder ein paar verdächtige Frauen gefunden hatten. Er erinnerte sich plötzlich an die Freude, die immer in seinem Herzen bebte, wenn die schweren, schicksalhaften Worte ausgesprochen wurden, die die Schuldigen zur Folter verdammten - oder zum Scheiterhaufen.
Ja, denn das war die edle Freude der Gerechtigkeit. Seine Lippen strafften sich noch mehr. Im Kampf gegen das Böse durfte man keine Schwäche zeigen!
Die junge, hübsche Hausfrau mit den sanften Augen kam herein und schimpfte mit dem Mädchen, entschuldigte sich für sie bei Johan und nahm sie mit hinaus.
Er sank in seinem Bett zurück. Der Raum war auf einmal so leer und
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