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Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund

Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund

Titel: Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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»Du hast nichts verkehrt gemacht. Es ist seine Niederlage, nicht deine.«
    Dies waren Traumworte für die Schwester. All die große Angst, Unsicherheit und Einsamkeit dieser Monate sprudelten einfach aus ihr heraus, ohne daß sie imstande gewesen wäre, noch irgend etwas zurückzuhalten. Sol war entrüstet.
    Doch als sie zufällig die Narben von den Peitschenschlägen auf dem Arm der kleinen Schwester entdeckte, wurde es ihr zu viel. Da vergaß sie ihre gute Erziehung und explodierte vor rasender Wut. Die Reihe von Wörtern, die sie ausstieß, hätte auch den abgehärtetsten Menschen zum Erbleichen gebracht.
    Liv starrte sie nur mit offenem Mund an, ihr blieb völlig die Luft weg.
    Sol zog sie vom Sofa hoch, auf dem sie gesessen hatten.
    »Komm«, sagte sie. »Das Schiff, mit dem Dag kommt, läuft bald ein. Wir gehen ihn unten am Hafen abholen.«
    »Dag? Dag kommt?«
    »Ja, wir wollten uns in Oslo treffen.«
    »Dag…«, sagte Liv leise. »Hat er die Baronesse Trolle dabei?«
    »Welche Baronesse Trolle? Er hatte nie eine Baronesse Trolle!«
    »Aber ich dachte …«
    »Das war nur Gerede. Dag hatte für nichts anderes Zeit, als für sein Studium. Hier und da eine kleine Salontändelei, aber das haben wohl die meisten, ohne daß es gleich etwas bedeuten muß.«
    »Aber ich habe keine Erlaubnis, auszugehen.«
    »Du hast keine Erlaubnis! In unserer Familie gibt es so etwas nicht. Da haben alle Erlaubnis - auf eigene Verantwortung.« Auf einmal wurde ihr klar, wie sie selbst mit ihrer Verantwortung umgegangen war, aber das waren jetzt Bagatellen. »Komm nur mit, ich dulde keine Widerrede!«
    Eine Stunde später sahen sie das Schiff in den Hafen gleiten. Zu dem Zeitpunkt hatten sie über alles andere als Livs traurige Gestalt gesprochen, und da lächelte das Mädchen zum ersten Mal seit Monaten.
    Doch bei dem geringsten Geräusch zuckte sie zusammen und schaute sich scheu um, um festzustellen, ob sie beobachtet wurde. Sie dachte die ganze Zeit daran, was ihr Mann und ihre Schwiegermutter wohl dazu sagen würden.
    »Schieb ruhig alle Schuld auf mich«, hatte Sol gesagt. »Ich halte eine ganze Menge aus.«
    Während sie warteten und die Passagiere beobachteten, die an Land gingen, betrachtete Sol im stillen ihre Schwester. Also Liv war gemeint, dachte sie. Eine deiner nächsten Angehörigen leidet, hatte die Frau in Ansgars Klyfta gesagt. Und Sols Gehirn begann zu arbeiten. Die Augenlider senkten sich ein wenig…
    Ein hochgewachsener, stattlicher Jüngling winkte ihnen zu. »Da ist er!« rief Liv. »Oh, Sol, was für ein wunderbarer Tag - euch beide auf einmal sehen zu dürfen! Oh, könnte ich doch bloß …« Sie verstummte. »Mit uns kommen?«
    »Oh, nein, das habe ich nicht gemeint. Ich weiß, daß die Loyalität das Wichtigste in einer Ehe ist, und ich schäme mich, daß ich Berenius angeschwärzt und heute sein Vertrauen mißbraucht habe.«
    »Dem Himmel sei Dank, daß du mir alles erzählt hast! Und Loyalität? Die sollte doch wohl für beide Seiten gelten, Liv, oder?«
    »Aber er ist doch so nett, hat mir so viel gegeben. Und er ist nie untreu gewesen, obwohl er als Mann das Recht dazu hätte, sagt er. Ich hätte nicht… Dag? Wie wunderbar, dich wiederzusehen!«
    Dag umarmte seine Schwestern eine nach der anderen. »Du hast es also geschafft, vor mir hier anzukommen, Sol. Das ist gut. Ich soll dich von einer Menge Leute grüßen, die sich nicht von dir verabschieden konnten. Man vermißt dich, liebe Schwester. Am meisten… hm, die jungen Männer.
    Guten Tag, kleine Liv, wie lange ist es her! Mein Liebe, wie dünn und bleich du bist! Behandelt er dich nicht anständig, dein Mann?« lachte Dag sie an.
    »Hier ist Krisenstimmung, Dag«, murmelte Sol. »Sol«, rief Liv verzweifelt aus. »Das darfst du nicht!« »Doch, das darf ich. Dieser Widerling hat unsere Schwester halb zu Tode gequält!« »Nein, aber Sol, du sollst nicht… «
    »Was hat das zu bedeuten?« fragte Dag besorgt. »Nun sagt schon!«
    Während sie den Hafen verließen, bekam Dag die ganze Geschichte von der feuersprühenden Sol aufgetischt. Er schaute sie beide bestürzt an.
    »Liv? Die Feinste und Reinste von uns allen? Ich kenne sie wohl besser als die meisten anderen, und einen besseren Menschen gibt es nicht. Wer wagt es, unsere Schwester so zu behandeln?«
    Zwar waren weder Sol noch Dag Liv´s richtige Geschwister, doch wenn Probleme von außen eintraten, dann hielten sie oft fester zusammen als die meisten Blutsverwandten. Liv war betrübt und

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