Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
gingen keine Fenster hinaus…
Eine halbe Stunde später trottete ein junger Bursche durch Berenius' Tür mit einem Sack auf dem Rücken. Er hatte seine rußige Mütze tief ins Gesicht gezogen. Die nackten Beine und Füße waren so schmutzig, daß man kaum noch die Hautfarbe darunter erkennen konnte.
Er richtete es so ein, daß er ins Haus schlüpfte konnte, als der Verkehr am stärksten war, und ging drinnen sicheren Schrittes die Treppe hoch.
Wohl behalten oben angekommen, warf Sol den Sack vom Rücken, nachdem sie sich versichert hatte, daß es dort vollkommen menschenleer war. Dann stieg sie weiter hinauf zum Speicher, wo sie sich bei der Luke hinter den Säcken zusammenkauerte.
Sie nahm den Speicher in Augenschein. Kreuz und quer stützten große Balken das Dach. Hier oben war es dunkel und feucht, aber am anderen Ende des Raumes sah sie eine Luke offenstehen. Vorsichtig schlich sie dorthin. Etwas unterhalb der Luke war das Dach. Da es ein Stück vorsprang, konnte man sich zum Nachbarhaus hinüber begeben, und von dort würde es wohl gelingen, wieder festen Boden unter den Füße zu bekommen.
Sol hörte auf der Treppe ein Geräusch und eilte wieder hinter die Säcke. Sie wagte nicht hervorzuschauen, nach einer Weile jedoch entfernte der Unbekannte sich, und sie war wieder allein. Nun konnte sie hören, daß sich im Stockwerk unter ihr Leute aufhielten.
Doch Laurents Berenius hatte sich den ganzen Tag noch nicht blicken lassen.
Sol wurde es kalt. Wenn heute nun die Beerdigung seiner Mutter stattfand?
Sie hatte ja allen Grund zu der Annahme, daß seine Mutter gestorben war. Sol hatte zwar nichts dergleichen gehört, wußte nicht, daß genau in diesem Augenblick ein Brief von Liv nach Lindenallee unterwegs war. Auf Anweisung von Berenius gab Liv schriftlichen Bescheid, daß die Anwesenheit ihrer Familie nicht notwendig sei. Liv schrieb nicht, daß Laurents sich ihrer Familie schämte. Nicht einmal Charlotte oder Dag wurden akzeptiert. Laurents konnte nicht verstehen, daß sich ein Bastard wie Dag Baron nennen dürfte. Daß Laurents selbst diverse Abenteuer mit Frauen hatte, bevor er Liv kennengelernt hatte, sah er nicht in Zusammenhang mit einem außerehelichen Kind. Was für eine verwerfliche Frau!
Sol lag ungeduldig hinter den Säcken und spähte hinunter auf die Straße.
Da, am späten Nachmittag zeigte sich Laurents Berenius endlich beim Handelshaus. Er fuhr im Wagen vor und eilte ins Haus. Nun kam es nur darauf an, daß er zum Inspizieren vors Haus trat. Die Tür war dazu der strategisch wichtige Punkt.
Sol mußte lange warten. Noch einen Tag Abwesenheit konnte sie sich nicht leisten. Dann würde man sich zu Hause Sorgen machen. Und dort sollte man keinen Argwohn schöpfen.
Jetzt kam er hinaus. Sie zog den Kopf ein. Oh, halt jetzt da an!
Aber nein, er ging zu weit voran. Zum Hafen hinunter. Sol konnte ihn von dort, wo sie saß, nicht sehen, wußte nicht, was er tat. Plötzlich merkte sie, daß sich ihre Fingernägel tief in ihre Handflächen eingruben.
Dann kam er zurück. Halt unter der Luke an, halt unter der Luke an!
Das taten er und sein Begleiter. Doch der falsche Mann stand am richtigen Fleck.
Sie mußte wieder warten.
Sol sah von oben nur ihre Köpfe. Berenius bekam allmählich schütteres Haar, entdeckte sie.
Die Männer diskutierten und gestikulierten lange. Dann und wann rührten sie sich etwas von der Stelle. Da! Sie hatte es nicht fertiggebracht, den Sack zu bewegen.
Aber konnte sie den Männern nicht suggerieren, das zu tun, was sie wollte?
Bleib stehen, Laurents Berenius!
Sol schob den Sack an den Rand der Luke. Er kippte um - und fiel.
Laurents drehte sich um. Sol erhob sich, wagte nicht, sich dort noch länger aufzuhalten. Sie verschwand vom Fenster und stürmte über das Dach zum Nachbarhaus hinüber. Kurz darauf war sie auf der Straße. Rasch warf sie einen Blick auf das Durcheinander vor der Tür des Kontorgebäudes von Berenius, bevor sie um die Ecke verschwand.
Der Sack war schwer gewesen. Schwerer als sie erwartet hatte. Von Laurents Berenius war nicht mehr viel übrig.
10. KAPITEL
Sol traf zur Abenddämmerung wieder zu Hause ein. »Sol, wie gut, daß du kommst«, sagte Silje aufgeregt. »Charlotte und Dag sind hier. Wir haben einen Brief von Liv erhalten, in dem sie berichtet, daß ihre Schwiegermutter gestorben ist. Herzanfall. Und Liv bittet uns, nicht zur Beerdigung zu kommen. Aber ich finde wir sollten trotzdem hinfahren. Findest du nicht auch?«
Sol kam gar
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