Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
abgelegten Bewunderer nicht im Hause haben.«
»Doch, das kann ich machen«, sagte Dag. Nach dem Winter in Kopenhagen kannte er seine Stiefschwester besser als alle anderen.
Er wischte sich die Hände an der Hose ab und machte sich auf zum Gutshaus.
»Ach, warte auf mich«, sagte Sol. »Ich komme wohl doch besser mit.«
Sie wollte nicht riskieren, daß Jacob Skille etwas Kompromittierendes zu den Eltern sagte. Es dauerte noch eine Weile, bis er am Gutshaus angelangt war. Dag blieb stehen.
»Herr Gott«, murmelte sie, während sie die letzte Kohlrübe ausrupfte und dabei hinten überfiel. »Daß die Leute nie Begreifen wollen, daß Schluß ist, wenn Schluß ist.« Are seufzte. »Nein, Meta, nun hast du dich wieder im Haufen vertan. Die Guten kommen hierher und die Kleinen dorthin. Siehst du denn nicht den Unterschied?« »Entschuldigung«, murmelte Meta.
»Gibt es denn nichts, was du richtig machen kannst?« Sol war wegen Jacob Skille mürrischer Laue. »Hör auf, ständig auf dem Kind herumzuhacken«, fauchte sie Are an. »Sie läuft ja herum wie ein geprügelter Hund, um es dir recht zu machen. Aber das siehst du ja nicht einmal. Das einzige, was du siehst, sind die Fehler, die sie macht.«
»Macht sie denn etwas anderes als Fehler? Sieh nur, nun steht sie da und weint und schnieft und wirft die Rüben weiter auf den falschen Haufen.« »Du machst sie nervös. Sie hat vorher noch nie solche Arbeit gemacht, begreifst du das nicht?« »Nein, so schusselig kann doch kein Mensch sein!« Sol ließ die Kohlrübe los, die sie gerade in der Hand hatte und baute sich dicht vor ihrem kleinen Bruder auf. Sie mußte den Blick heben, um ihm in die Augen schauen zu können. »Wie glaubst du, hättest du dich wohl angestellt, wenn du in Hurerei geboren worden - und ein sogenannter Bankert gewesen wärst? Und wenn du deiner Mutter bei ihren Geschäften mit Männern hättest von Kindesbeinen an nachfolgen müssen? Wenn du von allen Hiebe und Tritten gekriegt hättest, weil du nicht der christlichen Gemeinschaft angehörtest? Meta hat in äußerster Not und Armut gelebt, weil niemand sie in seinen Diensten haben wollte. Das Einzige, was sie hatte, war die Mutter, die in ihrem Elend versucht hat, das Mädchen vor den Unbilden der Welt zu beschützen. Meta war so verlaust, als ich sie gefunden habe, daß ich die Läuse auf ihr kriechen sehen konnte. Und ich mußte ihre Mutter begraben, die drei Monate tot in ihrer erbärmlichen Erdhütte gelegen hat. Danach war Meta allein und absolut ohne Schutz. Als ich sie fand, stand sie an einen Zaun angebunden, und ein Dutzend Soldaten verlustierten sich an dem abgemagerten Kind! Den Spuren nach zu urteilen, haben sich fast alle an ihr vergangen, an einer Dreizehnjährigen, bevor ich kam und dem Ganzen ein Ende setzte. Dann habe ich sie mit hierher genommen, ja! Denn ich glaubte, hier würde sie ein Zuhause finden und Menschen, die sie verstehen. Aber da habe ich mich wohl geirrt.«
Are stand stumm und hörte sehr ernst ihren Worten zu. Liv, die Unglückliche, war zu Meta gegangen und hatte sie an sich gedrückt, den Arm um ihren Kopf und die Wangen auf ihr Haar gelegt. In dem Moment entstand zwischen den beiden Mädchen eine innere Nähe, und das tat auch Liv gut. Sie wurde eine andere Tragödie gewahr, die ihre eigene fast überschattete. Sie hatte eine, die sie trösten und um die sie sich kümmern und darüber sich selbst vergessen konnte.
Sowohl Sol als auch Dag sahen es, und auch sie freuten sich darüber.
»Warum hast das nicht schon früher gesagt?« sagte Are leise. »Weil Silje und Tengel sie aufgenommen haben — ohne Fragen zu stellen. Weil ich wollte, daß Meta um ihrer selbst willen angenommen werden soll, nicht aus Mitleid. Und ich hielt dich für zu jung, um solche häßlichen Dinge zu hören.« »Da hast du dich geirrt«, sagte Are kurz und machte sich wieder an die Arbeit.
Sol zuckte zusammen. »Oh, Dag, wir müssen Jacob Skille zuvorkommen! Herr Gott, wie soll man denn mit so vielen Kilo Lehm unter den Füßen laufen?«
Es gelang ihnen, Jacob anzuhalten, bevor er das Gutshaus erreicht hatte. Als er sie erblickte, blieb er auf der Allee stehen, direkt unter Sols Baum.
Sol spürte, wie ihr Willkommenslächeln erstarrte. Jacob jedoch bemerkte nichts, so glücklich war er, sie wiederzusehen. Dankbar nahm er die Einladung von Dag an, auf Grästensholm zu wohnen.
Sol bedeutete Dag, er möge sich im Hintergrund halten, als sie zum Gutshaus hinaufgingen.
»Was machst du
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