Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
Eigentum, auf das er stolz sein und das er benutzen wollte.« »Mißbrauchen, meinst du wohl eher«, zischte Sol, so daß Liv sie zum Schweigen bringen mußte. »Ich habe noch nie so etwas Abscheuliches gehört! Und etwas so Verkehrtes Das darfst du nicht glauben, Liv. Silje hatte recht. Die meisten Männer wollen eine Resonanz auf ihre Annäherungen, wollen sich geliebt fühlen.«
»Glaubst du das?« fragte die Schwester mit ein bißchen Hoffnung in der Stimme.
»Glauben? Ich weiß es!«
Mit Erstaunen nahm Liv Sols eindeutige Erfahrungen auf diesem Gebiet zur Kenntnis. »Wenn ich doch nur genug Kraft gehabt hätte, das einzusehen und zu glauben. Aber ich war so allein, so verunsichert. Ich habe gedacht, es sei meine Schuld und er habe das Recht, mich mit Straßenmädchen zu vergleichen und was er mir sonst noch alles an den Kopf geworfen hat. Ich habe ernsthaft einen Knacks bekommen, Sol. Das war der Auftakt zu all den Demütigungen, den Erniedrigungen und zu meinem ständig schlechter werdenden Gewissen. Er hat mich getötet, verstehst du. Und… Sol! Nein, das kann ich nicht sagen!«
»Doch. Rück jetzt mit der ganzen Wahrheit heraus, sonst wirst du die Gedanken daran nie los.«
»Nein, mir ist nur gerade etwas eingefallen.«
Sol wartete.
Liv nahm ihren Mut zusammen. »Der Gedanke ist natürlich ganz schrecklich, aber ich komme nicht umhin… Du verstehst, jedesmal wenn er die Peitsche genommen oder mich auf andere Weise bestraft hat, dann wurde er so seltsam zärtlich, und dann wollte er… Ja, du verstehst.« Sol hatte sich im Bett aufgesetzt. »Oh, zum Teufel, Teufel, Teufel! So ein Schwein! So ein ekelhaftes… «
Sie fand keine Worte und legte sich wieder hin. »Ich hätte ihn umbringen können!« murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen - als wenn sie nicht genau das getan hätte.
»Aber das war nur eine Nebensächlichkeit«, sagte Liv entschuldigend. »Das Schlimmste war der tägliche Druck, die ständig wachsamen Augen. Ich mußte ständig aufpassen, mich Untadelig aufzuführen.« Sie blieb lange still. »Deshalb kann ich Dag nicht heiraten«, flüsterte sie betrübt. Weil ich ihm nichts zu geben habe. Ich traue mich nicht mehr, Gefühle zu zeigen und würde immer Angst haben, etwas zu Tun, was ihm nicht gefällt. Der Gedanke an Strafe…« »Von Dag?«
»Er ist schon immer sehr genau und penibel gewesen, das weißt du auch. Schätzt keine Nachlässigkeit und Unordnung.« »Ja, aber wie kannst da eine Parallele zur Liebe ziehen?« »Das ist doch ganz leicht.« »Stell dich jetzt nicht dumm«, sagte Sol. Eine Zeitlang diskutierten sie darüber, doch Sol gelang es nicht, ihre Schwester wirklich zu überzeugen. Sol besprach es mit Dag. Erzählte ihm alles. »Es sieht so aus, als schrecke ihre Spontanität vor deinem Ordnungssinn zurück, Dag. Das darf nicht sein!« Dag saß beim Fenster und schaute zu Liv hinüber, die Meta den Hühnern half. Er war zutiefst schockiert darüber, wie Laurents Fröhlichkeit und Natürlichkeit seiner Ehefrau zerstört hatte. Heftig drehte er sich zu Sol um.
»Aber sie hat doch wohl keine Angst vor mir!« rief er verzweifelt aus. »Sie muß mich doch kennen?« »Genau das tut sie auch.«
Er fand keine Worte. »Aber… aber…« Er schlug die Hand an die Stirn. »Wie kannst du mich mit diesem Ungeheuer vergleichen?«
»Du hast noch einen langen Weg vor dir, lieber Bruder«, sagte Sol langsam.
11. KAPITEL
Eines Tages, als alle Geschwister und Meta Are draußen auf dem Kohlrübenacker halfen, tauchte auf dem Weg ein Reiter auf. Ganz offenbar war er unterwegs nach Lindenallee. »Aber wer kann das nur sein?« wunderte sich Liv. Dag schaute dem Reiter nach. »Aber ist das nicht der Kurier, der dich nach Skäne eskortiert hat, Sol?« »Doch, das ist er«, sagte Meta.
»Verdammt«, fauchte Sol. »Entschuldigung, ich wollte nicht fluchen. Jacob Skille? Was hat der hier zu suchen?« »Ich habe gedacht, er hat Euch gern«, sagte Meta. »Gern haben, ja«, fauchte Sol. »Das kann schon sein, aber ich bin fertig mit ihm.«
Die anderen schauten sie verwundert an. Der Reiter war auf dem Landweg stehen geblieben, um sein Gepäck zurechtzurücken. Er hatte sie offensichtlich noch nicht entdeckt. Sol fühlte sich zu einer Erklärung genötigt. »Ja, wir hatten ein kleines Techtelmechtel - ganz unschuldig und in allen Ehren. Etwas romantisch. Aber deshalb muß er ja nicht gleich herkommen! Dag, kannst du nicht ein Engel sein und ihn nach Grästensholm einladen? Ich möchte meine
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