Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
ihren Kindern. Es waren Tanten und Onkel und ihre ältesten Geschwister mit ihren Familien. Eines der Paare liebte sich gerade dort drinnen, Yrja versuchte, ihre Ohren vor den Geräuschen zu verschließen, denn sie verabscheute es, solch intime Vorgänge mitanhören zu müssen. Aber etwas in dieser Art ging stets vor sich. Am schlimmsten war es, wenn die Eltern es taten, fand sie. Die geflüsterten Bitten der Mutter, er möge sie verschonen, und das ungeduldige Grunzen des Vaters.
Sie weinte, weil sie nicht anders konnte. Sonst versuchte sie immer, sich nicht selbst zu bemitleiden, denn das wollte sie nicht, aber heute war es zuviel für sie gewesen. Ihr Schicksal lastete so schwer auf ihr - eine Zukunft, die es nicht gab. Tarald …
Nein, sie durfte nicht an ihn denken, es war vergebens und unrecht, denn er war nicht für sie bestimmt. Er hatte seine Wahl bereits getroffen, und ihr Schicksal war es, die Eltern auf ihre alten Tage zu umsorgen. Das war eine gute Tat, ein Privileg, für das sie dankbar sein sollte.
Warum war dann ihr Innerstes so widerstrebend? Würde sie dieses Gefühl des Erstickens denn nie loswerden, das sie überwältigte, wenn sie an die Zukunft dachte? Ein ganzes, langes Leben …
Es blieb nicht genug Zeit für ein Gespräch zwischen Tengel und Tarald oder zwischen den anderen. Zwei Ereignisse trafen rasch hintereinander ein.
Der junge Graf Strahlenhelm und seine Gattin kamen mit ihrem Gefolge zurück, um Cecilie abzuholen.
Auf der Treppe von Grästensholm stand Liv, schneuzte sich und trocknete die Augen während eines endlosen Abschieds. Dag gab mit unsicherer Stimme tausend Ermahnungen mit auf den Weg, und Charlotte war beinahe außer sich vor lauter Entzücken. Man stelle sich vor - ihr Enkelkind in den Diensten Seiner Majestät, des Königs! Zwar sollte sie nicht die wirklichen Königskinder hüten, jene, die den Thron erben würden, aber Immerhin! Es waren keine außerehelichen Kinder, die der König mit Kirsten Munk hatte, sie waren legal und akzeptiert. Von fast allen. Es waren zwei kleine Mädchen, wie sie wußte, und gab es da nicht auch einen kleinen Jungen? Sie war sich nicht ganz sicher - ein Kind war wohl auch gestorben.
Sie umarmte Cecilie immer und immer wieder. Die Tränen Strömten, und sie lachte vor Glück. Ach, welch eine Freude!
Dann zog das Gefolge davon, an der Kirche vorbei, den Weg hinunter. Die ganze Familie winkte, sie sahen Cecilies winkenden Arm, lange, lange - bis die Entfernung zu groß wurde.
Silje sah dem Zug aus dem Fenster von Lindenallee nach. Am Abend zuvor war Cecilie gekommen und hatte sich verabschiedet.
Ein reizendes Mädchen, diese Cecilie. Nicht von so blendender Schönheit wie viele Eisvolk-Frauen, aber an Charme und geistiger Stärke übertraf sie sie alle.
Silje spürte, daß sie ihr lebhaftes Enkelkind sehr vermissen würde.
Nur drei Tage später, während sich alle auf Grästensholm befanden und dort speisten - auch Silje, denn ihrem Bein ging es etwas besser - kam ein Bote des Pastors, um Tengel zu holen. Tengel erhob sich sofort.
»Der Pastor?« sagte Charlotte. »Er fragt doch sonst auch nicht nach dir.«
»Vielleicht war er bisher nur nicht krank«, sagte Dag bissig. Niemand in der Gemeinde fürchtete sich noch vor Tengels erschreckendem Aussehen. Seine angsterweckend breiten, hohen Schultern wirkten statt dessen auf die Kranken wie ein beschützender, tröstender Schatten. Aber der geistig unbewegliche Pastor hielt für gewöhnlich einen gewissen Abstand. Tengel war ja auch nicht gerade einer der eifrigsten Kirchgänger.
Tengel ritt sofort los. Die anderen setzten ihr Mahl fort. Und da das Essen aus ziemlich vielen Gängen bestand, saßen sie immer noch zu Tisch, als sie ihn in der Halle hörten. Er sprach mit einem der Diener.
»Nein, komm mir nicht zu nahe«, hörten sie ihn sagen. »Schon zurück?« murmelte Are. »Das ging ja schnell.«
Tengel betrat mit raschen, energischen Schritten den Speisesaal.
»Sieh an, na,«, sagte Charlotte. »Nun kannst du doch noch einen Bissen zu dir nehmen. Setz dich!« Aber er blieb an der Tür stehen. Silje ahnte Schlimmes. »Was ist, Tengel?« Er sagte nur ein einziges Wort: »Pest.«
4. KAPITEL
Pest!«
Meta öffnete den Mund vor Entsetzen und zog ihre beiden jüngsten Söhne enger an sich. Sunnivas Hand suchte unter dem Tisch die von Tarald. Liv flüsterte:
»Lob und Dank sei dem Allmächtigen, daß Cecilie rechtzeitig gefahren ist!«
»Wie ernst ist es, Tengel?« fragte Silje
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