Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
hatte auch seine Zustimmung gegeben, daß Sols Name auf ihren Stein stehen sollte. Alles war so lange her, niemand erinnerte sich noch an die Hexenjagd. Und Herr Martinius kannte keine Menschen, die wirklichkeitsnäher und lebensbejahender waren als die Nachkommen der Eisvolk-Sippe und der Familie von Meiden.
Livs Gedanken zogen weiter. Sie fragte sich, wie alt Tengel wohl geworden wäre, wenn er sich nicht das Leben genommen hätte. Er hatte auf gewisse Weise unsterblich gewirkt. Hanna… Sie konnte sich kaum an Hanna erinnern. Aber die war uralt geworden, und vielleicht hätte sie noch viele Jahre länger gelebt, wenn man sie nicht umgebracht hätte.
Fröstelnd dachte Liv an ihren eigenen Enkel. Wie alt er wohl… Sie richtete sich auf. Ich liebe ihn, sagte sie trotzig zu sich selbst. Ja, das tue ich!
Liv arrangierte die Blumen in den Vasen auf dem Grab und gab ihnen Wasser. Dann ging sie die paar Schritte hinüber zu der Krypta, der Grabstelle derer von Meiden. Dort lag die alte Baroninwitwe. Und Charlotte an der Seite von Jacob. Und in einem neuen Sarg lag Sunniva, Taralds Frau. Liv legte die restlichen Blumen dort ab.
Vor der Krypta saß wie üblich ihr Sohn. Sie legte ihm leicht die Hand auf die Schulter.
»Sie wurde auf jeden Fall geliebt«, sagte sie tröstend. Tarald erhob sich. »Ach, Ihr versteht nicht, Mutter! Ihr wißt nichts von dem Kummer, der in mir brennt und mich verzehrt!«
Er ging eilig fort, und Liv bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn vertrieben hatte. Das hatte sie nicht gewollt. Der Pastor, Herr Martinius, kam aus der Kirche und entdeckte sie. Er ging sofort zu ihr, um sie zu begrüßen. Sie sprachen eine Weile über dieses und jenes, dann sagte der Pastor:
»Ihr seht so bekümmert aus heute, Frau Baronin.« Sie fuhr zusammen. »Tue ich das? Ja, vielleicht. Es ist nicht nur die tiefe Trauer meines Sohnes, die mich bekümmert, Es ist auch meine Tochter Cecilie. Sie ist am Königshof in Kopenhagen.«
Herr Martinius verhielt sich abwartend. Er hatte von ihr gehört.
»Sie ist nicht glücklich, Herr Martinius. Mit den Kindern klappt zwar alles wunderbar. Sie hat zwei in ihrer Obhut, ein Mädchen namens Leonora Christine und seit kurzem auch einen kleinen Knaben, zur großen Freude des Königs. Aber die Mutter der Kinder, Frau Kirsten, ist so garstig zu Cecilie. Und sie darf nicht auf Besuch heimkommen zu uns, und… Aber ich, ich will Euch nicht weiter mit meinen Klagen behelligen. Wie ich höre, werdet Ihr heiraten, Herr Martinius. Das freut mich aufrichtig!«
»Ich danke Euch. Ja, es ist meine Jugendliebe, wenn ich das so sagen darf. Sie heißt Julie und ist die Tochter des Dompropstes , unseres Nachbarn daheim. Ein bezauberndes Mädchen, so rein und schön. Als ich ein junger Bursche war, konnte ich nur von ihr träumen, aber als ich hier die Pfarrstelle bekommen hatte, habe ich gewagt um sie zu werben. Und denkt Euch, sie hat mir ihr Jawort gegeben!« »Das wäre ja auch noch schöner!« lachte Liv. »Das hätte ich an ihrer Stelle auch getan. Oh, versteht mich nicht falsch, ich halte mich an meinen Dag. Er war ebenfalls meine Jugendliebe. Wir sind zwei treue Seelen, Ihr und ich.« »Ja, es sieht so aus«, lächelte er.
»Sie hat einen Freund«, sagte Liv nachdenklich. Her Martinius erschrak. »Wer? Meine Julie?«
»Nein, nein, verzeiht, ich habe laut gedacht. Cecilie. Einen Freund, der ihr gegen Frau Kirsten und eine biestige Hofmeisterin beisteht. Er ist ein Markgraf und heißt Alexander Paladin…«
»Was für ein edler Name! Der verpflichtet, möchte ich meinen.
»Ja. Aber ich werde nicht recht schlau aus dieser Freundschaft. Cecilie ist so… so wortkarg, wenn sie über ihn schreibt, als wäre sie in ihn verliebt, aber er nicht in sie. Versteht Ihr, was ich meine? Nun, jedenfalls hat König Christian sie gelobt für ihre Treue zu den Kindern. Er besucht sie oft, und sie haben ihm gegenüber sicherlich liebevoll über Cecilie gesprochen, wie sie schreibt, denn er war sehr zufrieden. Dieser Markgraf hat außerdem ein gutes Wort für sie eingelegt, wie ich ihren Zeilen entnehme. Die Hofmeisterin will sie loswerden, kann es aber nicht, weil der König seine Hand über sie hält. Ach, ich mache mir Sorgen! Wenn ich nur hinfahren und sie sehen könnte! Aber wir haben ja ein kleines Problem auf Grästensholm, und ich kann dort nicht weg …«
Sie schwiegen beide. Kolgrim war weiß Gott kein kleines Problem.
Nach Tengels Tod geschah etwas mit Are.
Er, der immer der
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