Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
der Nähe des Schlosses geläutet. Ein Diener öffnete und ließ sie einigermaßen verblüfft eintreten. Er bat sie, in der Halle zu warten, und nach einigem Gemurmel hinter verschlossenen Türen kam Alexander Paladin heraus zu ihr, gerade in dem Moment, als sie sich zu fragen begann, ob sie nicht einen schrecklichen Fehler gemacht hatte.
Ein wenig verlegen brachte sie ihr Anliegen vor. Schon wieder hatte sie Familienangehörige verloren und brauchte jemanden, mit dem sie in diesem fremden Land sprechen konnte. Jemanden, der sie verstand.
Er bat sie in einen gemütlichen Salon, und dort saßen sie beisammen und unterhielten sich den ganzen Nachmittag bis in den Abend hinein. Cecilie erzählte von ihrer merkwürdigen Familie, und es erleichterte sie, von ihrer Trauer über die drei letzten Verstorbenen zu berichten, die für immer gegangen waren, während sie so weit weg war. Alexander erzählte von seiner Kindheit unter der tyrannischen Liebe einer alles überschatten Mutter, aber auf sein Leben als Erwachsener ging er nicht ein. Anschließend sprachen sie über Kunst und Literatur und gesellschaftliche Fragen, und Cecilie lernte viel und errötete glücklich, als er sagte, daß sie unglaublich viel von all diesen Dingen verstünde.
Erschrocken bemerkte sie, wie spät es geworden war. »Oh, jetzt habe ich Euch wohl ganz und gar kompromittiert!« hauchte sie.
Da lachte er. »Mich? Ganz im Gegenteil, Fräulein Cecilie!« Verwirrt dankte sie ihm für seine Freundlichkeit und eilte davon.
Kirsten Munk hatte einmal zu Cecilie gesagt: »Es scheint, als würdet Ihr gute Dienste an meinen Kindern leisten, Fräulein von Meiden. Doch glaubt nur nicht, daß Ihr Euch Vorteile dadurch verschafft! Mir gefällt Euer ungehöriger Ton meiner Hofmeisterin gegenüber nicht. Normalerweise hätte ich Euch auf der Stelle entlassen. Aber einen Rat will ich Euch geben: Seid etwas sorgsamer und anspruchsvoller bei der Wahl Eurer Beschützer, Fräulein Cecilie!«
Dann war sie mit raschelnden Röcken davongerauscht, und Cecilie hatte ihr verwundert nachgeblickt.
Daheim auf Grästensholm saß Yrja mit Kolgrim auf dem Schoß und versuchte, in zum Essen zu bewegen. Er war jetzt etwa ein Jahr alt, ein großgewachsener, wildäugiger Junge. Er war nicht leicht zu bändigen, denn sein Wille war stärker als der aller anderen. Es schien, als ob er nicht einen Funken Humor besaß.
Die Haare hingen ihm strähnig vor den gelben Augen herunter, aber die schwarze Behaarung, die fast seinen ganzen Körper bedeckt hatte, war jetzt verschwunden. Trotzdem schauderte man vor diesem unglaublichen Gesicht. Er war nicht mehr so häßlich wie als Neugeborener. Nein, es war etwas anderes, das ihn so ungeheuer abstoßend machte, etwas Bösartiges, das man nicht genau benennen konnte, es war einfach da. Tengel hatte ausgesehen wie ein Dämon - aber wie ein anziehender. An Kolgrim fand sich nichts Anziehendes.
Vielleicht weckte er gerade deshalb Yrjas Mitgefühl. Liv und sie wechselten sich bei seiner Pflege ab, und das war auch wahrhaftig nötig, denn er brachte einen Menschen nach wenigen Stunden zur Erschöpfung. Dag war zu sehr von seiner Arbeit beansprucht, und obwohl er sich wirklich bemühte, seinem einzigen Enkelkind Interesse und Liebe entgegenzubringen, merkten die Frauen, wie erleichtert er war, wenn er das Haus verlassen konnte.
Tarald sahen sie so gut wie nie in der Nähe des Kindes. Er zuckte zusammen wie ein erschrecktes Pferd, wenn er seinen Sohn erblickte. Es war, als könne er nicht begreifen, eine so schöne Liebesbeziehung zu einem so abschreckende Resultat hatte führen können. In Mußestunden hielt er sich an Sunnivas Grab auf dem Friedhof auf, ansonsten arbeitete er wie ein Besessener um das große Gut in Ordnung zu halten. Liv machte sich Sorgen, sie glaubte, daß er sich zu sehr verausgabt - aber Grästensholm wurde jetzt zweifellos besser geführt. Jacob Skille war zwar tüchtig und geschickt gewesen, aber er hat nicht viel Ahnung von dem komplizierten Wirtschaftsbetrieb gehabt, den so ein großes Gut darstellte. Und Dag hatte sich noch nie für den Hof interessiert. Was den kleinen Kolgrim betraf, war es schwierig, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Niemals lächelte er, und sprechen könnt er noch nicht. Seine Augen blickten streng, beinahe haßerfüllt auf die Erwachsenen. Meistens ließ er es zu, daß man seine Windeln wechselte, während man mit ihm plauderte. Aber wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, was er nicht sollte -
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