Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
inmitten seiner vielköpfigen Familie in der Kirche und hörte, wie der neue Baron seinen Namen erhielt.
Eigentlich hätte Cecilie den Kleinen über die Taufe halten sollen, doch das erschien ihnen allen zu riskant, wegen Kolgrim. Sie wollten nicht seine Eifersucht auf das Brüderchen wecken und auch nicht riskieren, daß er zu schreien anfing und einen Skandal in der Kirche auslöste. Aber Cecilie stand als Patin zusammen mit ihrer Mutter und Yrjas ältestem Bruder, die ebenfalls Paten waren, vorne im Chor. Und niemand konnte oder mochte verhindern, daß Kolgrim neben ihr stand und mit den Händen im Taufbecken herumplanschte.
Cecilie betrachtete Herrn Martinius, während er das Taufritual vollzog. Sie hatte ihn während des gesamten Gottesdienstes angesehen - selbstverständlich, denn das tut die ganze Gemeinde, wenn der Pastor predigt. Was sie sah, gefiel ihr. Er war ein stattlicher junger Mann mit melancholischen Augen. Seine Stimme war weich und ausdrucksvoll. Aber er erinnerte sie an jemanden.
Erst als sie wieder zu Hause war, begriff sie, daß er Alexander Paladin ähnelte, und diese Erkenntnis erschütterte sie. Denn wenn sie jemanden vergessen wollte, dann Alexander. Aber es lag etwas seltsam Angespanntes über dem jungen Pastor, etwas, das sie nicht verstand. Als hätte er persönliche Probleme. Religiöse? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen, er machte den Eindruck, daß er auf gutem Fuß mit dem Herrgott stand.
Warum muß ich bloß immer an Männer mit neurotischen Problemen geraten, dachte sie, verärgert über sich selbst. Herr Martinius hatte im Laufe der Predigt viele Male hochgeschaut und war Cecilies Blick begegnet. Und unbewußt hatte er ihn anschließend immer wieder gesucht.
Das muß Taralds kleine Schwester sein, dachte er. Sie war gerade nach Kopenhagen abgereist, als er damals hierher kam. Ihre Anwesenheit machte den Gottesdienst irgendwie anders, aber er konnte sich nicht erklären, wieso. Er fühlte sich gewissermaßen aufgemuntert und guter Dinge. Rasch warf er einen Blick auf seine Gattin, die auf ihrer üblichen Platz saß und ihn beobachtete. Sie runzelte streng die Augenbrauen. Ja, er hatte gewiß ein wenig zu frei gesprochen heute, und Julie war so gottesfürchtig. Er mußte sie zusammennehmen.
Wieder fiel sein Blick auf Cecilie, und wieder spürte er dieselben gemischten Gefühle von stiller Freude und Erregung. Cecilie von Meiden sah nicht halb so süß aus wie Julie - aber was für eine Persönlichkeit, und dann diese Anmut, dieser Charrn.
Während der Taufzeremonie standen sie zufällig dicht nebeneinander. Herrn Martinius zitterten dermaßen die Hände daß ihm fast die Bibel entglitten wäre. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Hätte sich nicht der eifersüchtige kleine Kolgrim zwischen sie gedrängt, hätte Herr Martinius die Zeremonie wohl niemals zu Ende gebracht.
Kolgrims Brüderchen Mattias war ein ungewöhnliches Kind, fand der Pastor. Diesen Blick hatte er vorher noch bei keinem Täufling gesehen. So mild, so verstehend- soweit man das bei einem Säugling überhaupt sagen konnte - und mit einem so rührend vertrauensvollen Lächeln. Ja, der Pastor war wirklich bewegt.
Wie konnten zwei Halbbrüder so verschieden sein? Der wirkliche Grund war, daß der kleine Mattias all die guten Eigenschaften seiner Vorfahren geerbt hatte, während sein armer Bruder all die schlechten abbekommen hatte. Aber inzwischen konnten alle sehen, daß Kolgrim sich seines Aussehens absolut nicht zu schämen brauchte. Es lag etwas hypnotisch Anziehendes in seinen sonderbaren Gesichtszügen, etwas beinahe unheimlich Suggestives in seinen schimmernden Augen. Aber alle, die ihm in die Augen blickten, fühlten Angst - ohne zu begreifen, wieso.
Cecilie war ihnen allen in diesen Tagen eine große Hilfe. Um Yrja und Liv zu entlasten, nahm sie Kolgrim oft mit hinunter nach Lindenallee. Meistens ging sie hin, um Tarjei zu treffen, die beiden hatten so vieles gemeinsam.
Auf Lindenallee ging das Leben seinen gewohnten Gang, Meta putzte und kochte und machte und tat, sie war nicht wie Silje, die alles den Mägden überlassen hatte. Meta wollte möglichst viel selbst machen. Are arbeitete draußen im Wald und in den Ställen, nur zu den Mahlzeiten kam er herein, bodenständig, kantig und wortkarg, gefolgt von Brand, der ein genaues Abbild seines Vaters war, und dem ständig plappernden Trond. Trond wollte gerne den Wirtschaftsbetrieb auf Lindenallee rationalisieren, aber weil Are sich
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