Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
Mahlzeiten nicht erschien. Dann kam sie wieder heraus.
»Martin«, sagte sie eisig. »Was gedenkst du am Sonntag in der Kirche darüber zu sagen?«
Er sah sie erstaunt an. »Ich werde natürlich meine Sünden bekennen. Dann soll die Gemeinde ihr Urteil fällen.« Julie erbleichte. Dann sagte sie mit schroffer Stimme: »Ich habe mit Gott gesprochen. Und Er vergibt dir. Deshalb werde ich nicht nachtragender sein. Das da ist niemals passiert, Martin. Merk es dir! Ich habe gestern auch mit meinem Vater gesprochen, über eine ganz andere Sache. Man will dir das Amt eines Dompropstes anbieten. In einer größeren Stadt.«
Martin erschrak. »Aber so etwas kann ich nicht annehmen, das begreifst du doch wohl? Ich habe gesündigt, Julie! Ich will so ein Amt auch gar nicht. Ich habe mich hier immer wohlgefühlt, und ich beabsichtige, mein Pfarramt niederzulegen und mich statt dessen als bußfertiger Sünder in den Dienst der Ärmsten und Unglücklichsten dieses Kirchspiels zu stellen - als ein Werkzeug christlicher Nächstenliebe. So wie du es schon seit langem tust. Künftig werden wir beide, meine Freundin, gemeinsam…«
»Das kommt ja überhaupt nicht in Frage!«, unterbrach Julie ihn scharf. »Und was hast du mit ihr vor? Der Hure, die dich verführt hat?«
»Cecilie hat mich nicht verführt, Julie«, wiederholte er müde mindestens zum zehnten Mal. »Es war mein Körper, der dem Druck nicht länger standhalten konnte. Natürlich werde ich sie niemals Wiedersehen. Sie ist in Dänemark und wird dort viele Jahre bleiben, bevor sie wieder nach Hause kommt.«
Julie focht einen harten Kampf mit sich selbst aus. So dumm war sie nicht, daß sie nicht ihre eigene Schuld an der Sache begriffen hätte. Dieser Gedanke hatte sie die ganze Zeit drinnen im Schlafzimmer gequält. Schließlich sagte sie mit angestrengter Stimme:
»Sie oder irgend eine andere. Ihr Männer könnt eure Gelüste doch nie beherrschen! Aber… Martin… ich habe eine Bitte an dich.« »Ich höre.«
»Ich will mich nicht scheiden lassen. Diese Schande würde ich nicht überleben. Ich bitte dich um zwei Dinge. Überlege dir gründlich, ob du das Angebot, Dompropst zu werden, wirklich ablehnen willst. Und… und… lehre mich, zu lieben.« »Julie!« japste er.
»Nicht jetzt! Nicht sofort«, sagte sie hastig. »Sondern langsam, langsam!«
Er hatte keine Worte. Er dachte an Cecilie, die er nie mehr Wiedersehen würde. Dachte an seine jahrelange Liebe zu Julie, die niemals erwidert worden und schließlich erloschen war. Konnte sie aufs Neue entzündet werden?
»Ich werde es versuchen«, versprach er und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, daß ihm ihr Anflug von Ekel nicht entgangen war. Julie ging wieder in ihr Schlafzimmer.
Sie war nur halbwegs befriedigt. Sie hatte eine Katastrophe abwenden können - daß er ihre Schande vor aller Welt herausposaunte. Und er hatte beinahe eingewilligt, Dompropst zu werden.
Aber ihr Sieg war teuer erkauft. Martin war ein attraktiver Mann. Es war nicht seine Person, für die sie Abscheu empfand. Es lag an ihrer verqueren Auffassung von Liebe und Sünde, die ihre Einstellung zu Männern ganz generell prägte. Julie hatte nie davon geträumt, eine alte, unverheiratete Jungfer zu werden, das wäre zu schmachvoll für ihre Eitelkeit gewesen. Und Martin war der angenehmste Mann, den sie jemals kennengelernt hatte. Und derjenige, der am leichtesten zu lenken war. Ihre Ambitionen in bezug auf seine und ihre eigene Karriere waren ihr Leitmotiv gewesen. Aber jetzt würde sie seine Liebesbeweise annehmen müssen. Er würde sie mit gierigen, begehrlichen Händen anfassen - so, wie er diese Aristokratenhure angefaßt hatte - und das ging ihr unbeschreiblich gegen den Strich. So, wie es ihr schon als Kind widerwärtig gewesen war, lange bevor sie Martin kennenlernte.
Das Dilemma, in das er sie jetzt gebracht hatte, war zu gemein! Sie brauchte ein Ventil für ihre Rachgier. An Martin konnte sie sich nicht rächen, denn dann würde er sie verlassen. Und Cecilie war abgereist.
Aber Yrja war ja hier, dieser kleine Emporkömmling auf Grästensholm. Sie sollte für alle anderen büßen!
13. KAPITEL
Als Cecilie abgefahren war, fiel Kolgrim in seine Antipathie und sein fehlendes Interesse an seiner Umgebung zurück. Er wurde bockig und quengelig, und nur Cecilies Geschichte über den Großen Troll, der Kinder fraß, die sich Kleineren gegenüber bösartig verhielten, schien ihn davon abzuhalten, auf seinen kleinen Bruder Mattias
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