Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
einzugehen. Sonst faßte dieses verdrehte Weibsbild das womöglich noch als Einladung auf, Herrn Martinius zu »trösten«!
Statt dessen schüttelte sie bedauernd lächelnd den Kopf und wandte sich ihrem Mann zu, ohne sich zu verabschieden. Cecilie, innerlich schnurrend wie ein Katze, zog Yrja mit sich fort, um Liv und Dag einzuholen. Dieses Duell hatte sie gewonnen wie ihr schien.
»Was für ein Biest!«, sagte sie zu Yrja. »Hüte dich bloß vor ihr!«
Yrja, von Natur aus bedeutend schlichter und gutgläubiger, fand Cecilies Urteil über die kleine, süße Pfarrersfrau unbegreiflich hart.
Eigentlich hätte Cecilie am darauffolgenden Tag abreisen sollen, aber die Reise mußte wegen einer Schiffsreparatur um einen Tag verschoben werden. Man benachrichtigte sie rechtzeitig, so daß sie nicht in Oslo warten mußte, sondern noch einen Tag länger daheim bleiben konnte. Und den nutzte sie weidlich.
Am Nachmittag ging sie zum Friedhof. Sie hatte Kerzen für die Gräber dabei. Wehmütig stand sie an den Ruhestätten all der Lieben, die dahingegangen waren.
Die Zukunft erschien ihr trostlos. Jetzt sollte sie an den dänischen Hof zurückkehren, und dagegen hatte sie auch nichts, denn sie betrachtete es als Herausforderung, den Kindern des Königs das Leben möglichst erträglich zu machen.
Aber Alexander? Wie sollte sie ihm jemals wieder in die Augen sehen können? Sie würde ihn nicht aufsuchen. Sie hoffte, daß sie sich nie wieder begegneten.
Und Martin, der ihm so ähnlich war und den sie so liebgewonnen hatte? Der in einer dermaßen bitteren, unglücklichen Ehe leben mußte.
Sie verweilte lange auf dem Friedhof. Es gab ihr einen so wunderbaren Frieden, an den Gräbern zu stehen, die sachte flackernden Kerzenflammen zu beobachten und sich vorzustellen, daß sie die Seelen der Toten waren, die sich ihr mitteilten. Ein Gespräch mit den Alten und Weisen hätte ihr jetzt so gut getan. Mit Großvater Tengel. Oder Großmutter Charlotte. Oder mit der klugen Silje, die so vieles aus reiner Intuition gewußt hatte.
Cecilie stand immer noch da, als es schon zu dämmern begann. Da sammelte sie den verwelkten Blumenschmuck und ein paar leere Vasen zusammen und ging zu einem Verschlag unten am Bach hinter der Kirche. Dort wurden Spaten, Eimer und andere Dinge verstaut, die nicht auf dem Friedhof herumliegen sollten.
Sie wollte die Tür des Schuppens gerade wieder hinter sich verschließen, als sie eine Gestalt zwischen den Bäumen oben an der Friedhofsmauer entdeckte.
Cecilie gehörte nicht zu den abergläubischen und die Dunkelheit fürchtenden Mitgliedern ihrer Familie. Sie glaubte keine Sekunde lang an einen Wiedergänger. Das hier war ein Mensch, ganz ohne Zweifel. Aber wo war der so schnell hergekommen? Der Weg und die Wiese waren leer gewesen, als sie hier hinunter ging.
Es war schwierig, in der rasch zunehmenden Dämmerung Einzelheiten zu erkennen, aber als die Gestalt über die Mauer kletterte und auf sie zukam, sah sie, daß es der Pastor war.
Überrascht war sie nicht, es war, als ob sie ihn erwartet hätte. Aber trotzdem konnte sie nichts dagegen tun, daß eine Welle von Blut durch ihren Körper schoß. Sie wollte ihn wiedertreffen, und gleichzeitig wollte sie es nicht.
Er trat in den Schuppen und schloß die Tür hinter sich. »Wo kommst du denn her?« lachte sie unsicher.
Seine Stimme zitterte leicht. »Ich habe dich schon eine ganze Zeit beobachtet, aus der Kirche heraus, aber ich habe darauf gewartet, daß du hierher gehen würdest. »Und Julie?«
»Sie war so sicher, daß du abgereist wärst, daß sie nach Oslo gefahren ist, um ihre Eltern zu besuchen. Auch ich habe gedacht, daß du längst unterwegs nach Dänemark bist.« »Das Schiff hat eine Verspätung«, sagte sie kurz. Sie fühlte sich etwas unbehaglich. Merkte, daß sie die Situation nicht im Griff hatte. Sie hätte ja einfach gehen können, aber das tat sie nicht. Irgend etwas - eine vage Erregung, eine verbotene Erwartung - hielt sie zurück. »Ich habe Julie um die Scheidung gebeten.«
Cecilie war verblüfft. Er packte ja wirklich den Stier bei den Hörnern! »Nicht wegen mir, hoffe ich?« »Nein, nein. Ich halte es ganz einfach nicht länger aus.« »Das kann ich verstehen. Aber ein Pastor, der sich scheiden lassen will…? Das geht doch nicht?« »Nein. Aber ich war so verzweifelt.« »Und sie? Was hat sie gesagt?«
»Sie hat sich natürlich geweigert. Aber was schlimmer war, sie hat gedroht, sich zu rächen. Und sie hat Mittel und
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