Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
unschuldig auszusehen. Ich weiß Bescheid! Ich weiß genau, daß sie mir nur zu gerne den Mann wegnehmen würde, um die Erste Dame des Kirchspiels zu werden, daß sie ihn zu gerne auf den Pfad der Sünde locken würde, wenn sie nur könnte.
Aber dazu soll sie keine Gelegenheit haben! Schade, daß mir nicht genug Zeit bleibt, mich an ihr zu rächen. Die andere dagegen, die in derselben Kirchenbank? Nicht Frau Liv, die ist zu stark…
Letzteres dachte Julie nicht bewußt, das lag tief in ihrer Seele verborgen. Hätte sie Liv besser gekannt, dann hätte sie gewußt, wie verletzlich sie war. Vielleicht die verwundbarste von allen. Aber Julie hatte noch nie tief in einen Menschen hineingeschaut.
Aber die andere, diese hoffnungslos unförmige junge Frau. Was die auf Grästensholm zu suchen hatte, das hatte Julie noch nie verstehen können.
Die armselige Tochter eines Kleinbauern… und beinahe ranghöher als die Pfarrersfrau! Es war nicht zu fassen! Als der Gottesdienst vorbei war und alle langsam nach draußen drängten, hatte Julie sich an der Kirchentür aufgestellt, um die Gemeinde zu verabschieden. Der Pastor stand auch da, aber auf der anderen Seite des Ausgangs, außer Hörweite.
(Guten Tag, Mutter Alvhilde, wie geht es dem Jüngsten? Na, das ist ja schön. Ach, guten Tag Peder, hat das Katzenfell geholfen? Schau an, die kleine Merete, ist das die Jüngste? Wie groß du geworden bist!)
Da kamen sie - Familie von Meiden. Sie waren die letzten, da sie in der ersten Bank gesessen hatten. Julie verteilte Küßchen und Umarmungen an die Kleinkinder und streckte eine weiche, kleine Hand hervor, die sich so kraftlos anfühlte, als würde man sie mit einem festen Händedruck zerquetschen können. Liv gab ihr die Hand, und sie wechselten ein paar nichtssagende, freundliche Worte.
»Und das ist Fräulein Cecilie, nehme ich an?« sagte Julie, während sie sich gleichzeitig darauf vorbereitete, Yrja zu begrüßen. Martin auf der anderen Seite machte ein ängstliches Gesicht, aber er steckte mitten in einem Gespräch.
»Ja«, sagte Cecilie und eröffnete die Schlacht mit einem freimütigen Blick. »Ich glaube, ich hatte noch nicht das Vergnügen.«
»Ich bin die Pfarrersfrau dieser Gemeinde«, sagte Julie, rasend vor Wut, daß nicht alle wußten, wen sie vor sich hatten. »Nicht M-hm groß gewachsen, vielleicht, aber ich gebe mein Bestes«, schloß sie selbstzufrieden.
»Stimmt, Martin hat Euch erwähnt«, sagte Cecilie mit katzenhafter Schläue. Erwähnt? Erwähnt?
»Herr Martinius«, korrigierte Julie milde, aber mit eiskalten Augen. »Und hier haben wir ein Eikeby-Mädchen, nicht wahr? Bist du nicht die, die Distel genannt wird? Was für ein lustiger Name!«
»Baronin Yrja ist meine Schwägerin«, berichtigte Cecilie. »Wir sind sehr froh darüber, daß sie in unsere Familie gekommen ist. Wir sind seit Kindertagen befreundet, sie und ich. Und eine Distel ist stark. Der Name ist eine Auszeichnung!«
Jetzt gelang es Julie nicht länger, ihre Maske zu wahren. Ihr Tonfall blieb süß und freundlich, aber die Worte wurden jetzt nicht länger in Watte gepackt.
»Nun, die Familie von Meiden war ja schon immer sehr volksnah, sowohl was den Umgang als auch die Wahl der Lebenspartner angeht.«
»Ja, nicht wahr?«, sagte Cecilie scheinbar naiv und gutgläubig. »Darin liegt unsere Stärke.«
»In der gesellschaftlichen Orientierung nach unten? Hat das dänische Herrscherhaus da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?«
»Wir leben in Norwegen und verstehen uns als Norweger. Und der norwegische Adel kann tun und lassen, was er will, nachdem man ihn all seiner Privilegien beraubt hat.« Hat die denn auf alles eine Antwort?, dachte Julie verbissen, und dann holte sie zum Schlag unter die Gürtellinie aus: »Aber das wirkt sich offenbar ungünstig auf die Nachkommen aus?«
Du altes Miststück!, dachte Cecilie und richtete sämtliche Stacheln auf, um Kolgrim in Schutz zu nehmen.
»Davon haben wir bisher nichts gemerkt«, sagte sie liebenswürdig. »Ganz im Gegenteil kann ein wenig frisches, lebenskräftiges Blut ganz gesund sein. Und wie ich merke, habt Ihr Yrjas kleinen Sohn Mattias noch nicht kennengelernt. Er ist das schönste Kind, das hier in der Gegend jemals geboren wurde. Und wie steht es bei Euch, habt Ihr selbst auch Kinder?«
Das war zu viel für Julie. Beinahe hätte sie gesagt: »So unmoralisch bin ich nicht«, aber dann er schien es ihr doch besser, auf die eher dunklen Seiten ihrer Ehe nicht näher
Weitere Kostenlose Bücher