Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
ihn gern sehen?«
»Nein. Gestern nacht lag ich wach und habe nachgedacht. Und ich spürte, daß ich mit ihm fertig war. Beim Gerichtsverfahren - da hatte ich ihn lange nicht gesehen - da fand ich ihn fast geschmacklos. Wie ein Zierpüppchen!«
Cecilie nickte. Das war auch ihr Eindruck gewesen. »Es fiel mir sehr schwer, zwischen ihm und dir einen Zusammenhang zu sehen«, gestand sie. »Ich hätte nie erwartet, daß du so einen Geschmack hast.«
»Er war bedeutend männlicher, als ich ihn noch kannte«, antwortete er kurz. »Offensichtlich wendet er das Mäntelchen nach dem Wind.« »Das glaube ich gern«, sagte sie.
Die Kinder des Königs wuchsen heran. Die stärkste Persönlichkeit unter ihnen war die vierjährige Leonora Christine. Das unglücklichste Kind war das älteste, Anna Catherine, die die Mutter wegen der Ähnlichkeit mit ihrem königlichen Vater haßte. Die anderen Mädchen und der einzige Junge waren unglaublich hochmütig und behandelten ihre Untergebenen mit Herablassung. Zudem waren sie von der Mutter Kirsten Munk und deren Mutter, ihrer Großmutter Ellen Marsvin angelernt worden, die ihre eigentliche Wärterin im Laufe der Kinderjahre war. Das schlimmste der Kinder war die sechsjährige Sofie Elisabeth. Sie war unbändig und neidisch und offenbarte oft einen gefährlichen Hang zur Gewalttätigkeit. Sie war ein Musterbeispiel an schlechten Eigenschaften und vergällte allen Kindermädchen das Leben, so wie sie es später mit dem Leben ihres Mannes Christian von Pentz, auch tun sollte.
Die echten Königskinder, die Thronerben aus Christian IV Ehe mit Anna Katrine von Brandenburg, sah Cecile selten oder nie. Sie hielten sich so gut wie nie am selben Ort auf wie Frau Kirstens Kinder. Es gab im übrigen eine Reihe von Personen, die die Gültigkeit der Ehe des Königs mit Kirsten Munk in Frage stellten. Eine formale Trauung hatte nie stattgefunden. Doch er nannte sie stets seine liebe Gemahlin und hob hervor, daß sie seine gesetzliche Ehefrau war. Sie hingegen nannte ihre Kinder Hurenbälger.
Cecilie besaß eine kleine Schwäche für König Christian. Man konnte viel von ihm sagen, aber niemand konnte seine innige Fürsorge für seine Nächsten leugnen. Er ließ größte Umsicht für die Kinder walten, nur das Allerbeste war gut genug für sie und er sorgte gut für sie. Sogar gegenüber Frau Kirsten war er unerschütterlich loyal und war ihr trotz allem eng verbunden. Sie hatte nie verwinden können, daß er ihre erste Tochter nach der verstorbenen Königin Anna Catherine hatte taufen lassen. Ein Gutteil des Hasses gegen das Kind lag womöglich auch in diesem Umstand begründet, vermutete Cecilie. Die gestrenge Haushofmeisterin hatte auch immer noch eine gewichtige Rolle mitzuspielen, und so manches Mal hatte Cecilie ihre beiden Schützlinge trösten müssen, wenn sie Schelte und eine Tracht Prügel bezogen hatten, Leonora Christine deswegen, weil sie eigene Ansichten vertrat, Anna Catherine, weil auf ihr herumgehackt wurde. Mitunter kam Kirsten Munk zu den Kindern, mehr aus Pflichtgefühl denn aus Liebe, und wenn sie dann Cecilie erblickte, die nun Alexander von Paladins Sache im Gerichtsverfahren gewonnen hatte, dann ließ sie ihre Enttäuschung und verletzte Eitelkeit an den unschuldigen Kindern aus. Unbeherrscht wie sie war, prügelte sie ohne Unterschied drauflos und verließ dann das Zimmer, während alle Kinder im Chor heulten.
Es stellte sich heraus, daß die Kriegsvorbereitungen mehr Zeit in Anspruch nahmen. Der Adel wollte die Kriegslust des Königs nicht unterstützen, weshalb Alexander nicht so rasch wie erwartet nach Holstein aufbrechen mußte. An einem Abend empfing er Cecilie in der Halle von Gabrielshus mit den knappen Worten: »Meine Schwester ist heute gekommen. Sie möchte dich kennenlernen.« Sein Gesicht war ausdruckslos - und diese Tatsache verriet schon genug.
»Um Himmelswillen«, murmelte Cecilie. »Gib mir Kraft, Alexander!«
Er lachte bitter. »Du schaffst das schon. Ich bin es, den sie nicht ausstehen kann.«
Diese Einstellung überträgt sich sicher und gilt ebenso für mich, befürchtete sie.
Mit zitternden Knien und auf schwankenden Beinen ging sie in den Salon.
Gräfin Ursula von Hörn war älter als ihr Bruder und hielt sich unglaublich aufrecht. Dunkelhaarig wie der Bruder, mit glatt nach hinten gekämmtem Haar. Doch ihre Augen waren hellgrau und frostig kühl, als sie die eintretende Cecilie taxierten. Ursulas Nase war - im Gegensatz zu der geraden
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