Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
wollt. Aber Euer Gnaden haben vielleicht aufgehört, Milch zu produzieren?«
Frau Juliana war schockiert, über solche Angelegenheiten reden zu müssen. Und dann noch mit einem so jungen Mann!
»Stimmt das?« sagte ihr Mann, Graf von Löwenstein. »N-nein, aber…«
»Das ist die einzig wahre Lösung«, sagte Tarjei. »Juliana, meine Liebe, denk an das Kind«, flehte der Graf. »Aber stell dir vor, jemand erfährt davon! Das wäre doch ein Skandal, sie werden sich totlachen. Und ruiniert es nicht meine Figur?«
Tarjeis Gesicht drückte deutliche Verärgerung aus. »Das glaube ich nicht. Aber wenn Ihr wollt, daß das Kind klein bleibt, vielleicht mißgebildet wird oder stirbt, dann bitte sehr! Das müßt Ihr entscheiden.«
»Oh, wie peinlich«, errötete die Frau. »Wenn es nur niemand sieht, dann…«
Ihr Mann strahlte. »Tu es, bitte, Juliana! Und wenn es jemand erfahren sollte, dann stirbst du auch nicht davon. Ich jedenfalls glaube, daß dir das gut stehen wird. Madonna mit dem Kinde.«
Die Gräfin, die sehr niedergeschlagen dreinschaute, lebte bei seinen Worten auf. Noch immer leicht beschämt stimmte sie zu.
Bereits eine Woche später ging es der kleinen Marca Christiana viel besser und sogar so gut, daß alle im Schloß, Adel und Bedienstete, zu Tarjei gekommen waren, um sich von ihm helfen zu lassen. Mitunter waren die Beschwerden nur eingebildet oder schlichtweg erfunden. Denn alle wollten von dem sympathischen jungen Arzt mit dem faszinierenden Gesicht behandelt werden. Die kleine Cornelia saß die ganze Zeit bei ihm, während er die Kranken behandelte. Er war ihr Fund, etwas, worauf hinzuweisen, sie nie unterließ. Ab und zu versuchte sie, ihn zu beherrschen, aber es glitt an ihm ab wie Wasser an einer Gans. Und stets fügte sie sich, wenn auch unter Protest und der Erklärung, daß er dumm sei! »Solltest du nicht draußen sein und spielen?« sagte Tarjei eines Tages, denn sie hatte ihm ihre definitive und gnädige Erlaubnis gegeben, sie zu duzen.
»Nein, ich schaue lieber zu, wie warm deine Augen werden, wenn dir jemand leid tut. Warum tue ich dir nie leid?«
»Weil es dir so gut geht, wie es dir nur gehen kann. Aber meine Augen können trotzdem warm werden, meine Kleine. Weil ich dich gern habe.«
Da strahlte Cornelia wie eine Sonne, und ihr niedliches, kleines Gesicht wurde rot vor Glück.
»Du bist mein Freund« sagte sie feierlich. »Ich habe nie einen Freund gehabt.«
Er erkannte, wie einsam sie aufgewachsen war, elternlos bei ihren freundlichen, aber strengen Verwandten. Sie hatte niemanden zum Spielen, niemanden zum Plaudern. »Und du bist meine Freundin«, sagte Tarjei ernst. »Meine beste Freundin.«
Sie nickte, mit vor Begeisterung leuchtendem Gesicht. »Freundschaft ist etwas sehr Schönes, Cornelia. Das Schönste, das es gibt. Das Stärkste und zugleich das Zerbrechlichste auf der Welt.«
»Ja«, erwiderte sie feierlich, ohne wirklich zu begreifen. Dann erfuhren sie, daß sich das große protestantische Heer aus Holstein in Richtung Süden in Marsch gesetzt hatte. Cornelia war untröstlich, als Tarjei abreisen mußte. Er hockte sich neben das wartende Pferd und schloß das Mädchen in seine Arme.
Sie weinte herzzerreißend an seinen Schultern, benetzte sein Haar und seine Wange mit ihren Tränen.
»Ich weine doch, Tarjei! Ich weine wirklich. Weil ich so traurig bin. Dann kannst du doch nicht abreisen!« Behutsam küßte er ihr das Haar.
»Wir sind doch Freunde, Tarjei!« versuchte sie. »Du darfst nicht abreisen!« »Ich muß, liebste Kleine.« »Dann komme ich mit dir.«
»Das geht nicht, das weißt du. Du bist übrigens voll Rotz.«
Sie trocknete sich geschwind die Nase - und zog einen dicken Streifen über die Wange.
»Nein, aber Cornelia! Hast du kein Taschentuch?« Sie hielt ihm eins hin, und Tarjei putzte ihr die Nase und trocknete sie behutsam ab.
Er mußte versprechen, zurückzukommen, wenn »dieser dumme Krieg« vorüber war. Sie lief ihm hinterher, als er davonritt, bis ganz zum Portal begleitete sie ihn. Tarjei drehte sich um und winkte der kleinen verweinten Gestalt wehmütig zu. Lebe wohl, Cornelia, dachte er. Wir werden uns nie wiedersehen, das weißt du so gut wie ich. Oberst Georg Ludwig von Löwenstein und Scharffeneck eskortierte den jungen Tarjei persönlich durch Sachsen und übergab ihn an die höchsten Heeresführer. König Christians Heer empfing den verblüffend jungen Feldscher mit Begeisterung. Er wurde mit einem kompletten Feldlazarett
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