Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde

Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde

Titel: Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
Vom Netzwerk:
beleidigt zu sein, doch dann siegte die Neugier. »Dir helfen? Ich? Was glaubst du wohl, du einfacher Mann?«
    »Nichts. Geh deiner Wege, garstige, kleine Meerkatze!«
    Zögernd blieb sie stehen. »Wo tut es dir weh?« »Mir tut nichts weh. Ich habe seit einer Woche nichts mehr gegessen und weiß nicht, wo ich bin.«
    »Du hast nichts gegessen? Bist du ein Bettler?« fragte sie und kam näher.
    »Wäre ich ein Bettler, dann wäre ich vielleicht jetzt am Leben.« »Aber du bist doch am Leben!« »Nicht mehr sehr viel.«
    Das Mädchen schwieg eine Weile. »Wenn du mein kaputtes Bein wieder heil machst, dann kannst du mit nach Hause kommen und an der Küchentür etwas zu essen kriegen.« »Wie ein Bettler?«
    »Nein, stimmt, du bist ja adelig. Stehst du im Gothaer Adelsalmanach?«
    »Du kannst ganz sicher sein, daß ich da nicht drinstehe.« »Nur niederer Adel also. Dann weiß ich nicht, ob…« »Oh, zieh doch in den Wald!«
    »Ich bin im Wald, Dummkopf! Na? Willst du mit oder nicht?« »Na, dann gib das Bein schon her!« Geziert zog sie die Röcke eine Idee hoch.
    Tarjei war schockiert. Ein gebrochenes Bein hatte sie zwar nicht, aber eine eklige, offene Wunde unterhalb des Knies. »Woher hast du das denn?« rief er aus.
    Sie registrierte, daß er beeindruckt war, und kostete die Situation voll aus.
    »Ich bin über eine Baumwurzel gefallen«, sagte sie begleitet von dramatischen Gesten. »Und da war ein dummer Ast dran, der hat mir weh getan.« »Ist das schon lange her?« »Kurz bevor ich dich gefunden habe.« »Und du hast nicht geweint?« »Ich weine nie, Heilkundiger.«
    »Natürlich nicht, nein. Aber jetzt eilt es. Komm her!« Er holte Verbandszeug und heilende Salben aus seiner Schultertasche, wobei ihm die Hände zitterten und der kalte Schweiß ausbrach. Die kleine Cornelia schaute mit großen Augen zu.
    Plötzlich stöhnte er auf. Ihm wurde schwarz vor Augen. »Du bist ganz weiß geworden«, sagte sie vorwurfsvoll. »Wach auf, Mann, du mußt mir helfen!« »Laß mich nur etwas ausruhen …« »Nein, hoch mit dir jetzt!« »Muß Essen haben.« »Du kriegst Essen, habe ich gesagt.«
    »Verfluchte kleine, aufgeblasene Person!« fauchte Tarjei und kam aus purer Wut wieder zu sich. »Nun wollen wir doch einmal sehen, ob du weinst oder nicht. Denn die Wunde muß genäht werden, und zwar sofort!« »Genäht?«
    »Ja. Setz dich hin und drück die Wundkanten jetzt zusammen - wenn du nicht für alle Zeiten eine schrecklich häßlich Narbe am Bein haben willst.«
    Das wollte sie ganz und gar nicht, besonders nicht, da Tarjei darauf aufmerksam gemacht hatte, sie würde in den Augen potentieller Freier an Wert verlieren. Die kleine Cornelia biß die Zähne zusammen, während er eine Sehne in eine Nadel aus Fischbein einfädelte. »Aua!« sagte sie beleidigt und schlug ihn. »Du hast mich gestochen!«
    »Ja, natürlich habe ich dich gestochen. Willst die Wunde genäht haben oder nicht? Du, die niemals weint.« »Näh schon, dummer Mann, ich werde es schon überstehen.«
    Mit zitternden Armen und Händen gelang es ihm, die Wunde zu nähen, indem er viele, lange Ruhepausen einlegte. Das Mädchen zuckte bei jedem Mal zusammen, wenn er die Nadel in ihre zarte Haut stach - es waren nur drei Stiche - und hinter verzweifelt zusammengebissenen Zähnen wimmerte sie leise. Tarjei wagte nicht, sie anzuschauen, doch ganz gegen seinen Willen bewunderte er ihre Haltung.
    Dann rieb er die Wunde mit nach Kräutern duftenden Salben ein und wickelte einen Verband um ihr rundliches, aber wohlgeformtes Bein. Danach sank er erschöpft mit geschlossenen Augen zurück und ließ ihr Zeit, um verräterische Tränen fortzuwischen.
    Lange war sie still. Sie versuchte zu verbergen, daß ihr Atem vor Schmerzen bebte.
    Am Ende schluckte sie angestrengt und faßte sich. »Du bist eigentlich recht hübsch«, sagte sie kritisch. »Auf häßliche Weise.« »Danke!« antwortete er verbissen. »Und ich? Findest du mich hübsch?«
    Mühsam ließ er seinen Blick auf ihr ruhen. Sie war eine Märchenprinzessin, eine von der drallen Sorte, gewiß, mit dunklen Korkenzieherlocken - etwas struppigen - die weit den Rücken hinunter reichten, mit großen dunklen Augen und einem kleinen Schmollmund. Schmutzige Ringe von den Augen bis zu den Ohren verrieten, daß sie zornig einige Tränen fortgewischt hatte. Dann hatte es also doch Tränen gegeben. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wäre es auch sonderbar gewesen.
    »Du hältst schon was aus«, sagte Tarjei.

Weitere Kostenlose Bücher