Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
alt.«
Alexander entfuhr eine lange, verbissene Reihe unanständiger Wörter. Doch er kniff die Lippen um seinen Schrei zusammen.
Cecilie durfte hinterher zu ihm hineingehen. Er müsse die ersten Tage auf dem Bauch liegen, erklärte Tarjei. Die Gefahr war noch lange nicht gebannt, deshalb versprach er, noch eine Woche zu bleiben.
Sie hockte sich vor Alexander, zwang sich, ihre Verlegenheit nach den verhängnisvollen, enthüllenden Worten früher am Tag zu bezwingen. »Hallo«, sagte sie sanft.
»Hallo«, antwortete er, noch mit Fieber im Körper. »Das habt ihr gut gemacht.«
»Was würden wir nicht für dich tun?« scherzte sie. »Nun ruhen wir uns aus. Einer von uns ist immer in deiner Nähe.« »Danke!«
Cecilie, die sich ja schon ausgeruht hatte, übernahm sie die erste Wache. Tarjei übernahm ihr Bett.
Einige Kerzen brannten an Alexanders Bett. Cecilie schaute auf seinen Nacken, auf das dunkle Haar, das sich leicht im Genick kräuselte.
Er weiß es jetzt, dachte sie und ihr war erbärmlich zumute. Ich habe mich verraten. Aber ich mußte es sagen, er lag doch im Sterben und glaubte, er habe auf der ganzen Welt keinen einzigen Menschen.
Sicher war es dumm von mir! Es hat ihn nicht glücklich gemacht! Er war bestimmt nur unangenehm berührt. Und dann tat ich ihm leid.
Aber ich war gezwungen, es ihm zu sagen, der Zwang kam von innen heraus.
Er war froh und dankbar, daß ich hier geblieben bin, obwohl ich das Kind verloren hatte und also seine Unterstützung nicht mehr benötigte, und obwohl er sich nun nie mehr auf gefährliche Abwege begeben konnte. Er war froh, das hat er selbst einmal gesagt. Dann hat er mich also gern. Ein bißchen. Wie einen Freund.
Es war jedenfalls gut, daß ich die geheimsten Träume nicht verraten habe, die ich in den letzten Stunden der Nacht von ihm träumte! Von der unerträgliche Lust einer verbotenen Sehnsucht. Das hätte er mir nie verziehen! Ob es wirklich eine so vertraute Freundschaft zwischen Mann und Frau geben kann? Ich glaube nicht, daß es möglich ist. Nicht auf lange Sicht. Früher oder später überschreitet der eine die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe. Und dann ist es vorbei.
Dann gibt es für den Unglücklichen nur Dunkel. Und Kälte von der anderen Seite.
Mehrere Tage lang war Alexanders Zustand kritisch, und die Nerven der Bewohner von Gabrielshus waren bis zum Zerreißen gespannt. Cecilies wahrscheinlich am meisten. Doch dann erholte er sich langsam, ganz langsam wieder. Nach zehn Tagen erklärte Tarjei, daß die Wunde problemlos verheilen werde, und entschied sich zur Weiterreise.
An jenem Tag saß er beim Briefe schreiben, als Cecilie hereinkam, um ihm einige Fragen bezüglich Alexanders zu stellen. Statt dessen sagte sie: »Wem schreibst du? An Mutter Meta?«
»Nein«, lächelte er und legte die Hand auf das Blatt Papier. »An eine junge Dame.«
»Nein, aber Tarjei!« sagte Cecilie mit großen Augen. »Oh, wie spannend! Wer ist sie, wie sieht sie aus?«
Er neigte den Kopf zur Seite und dachte nach. »Sehr niedlich. Dunkle, lange Locken. Große, schöne Augen und einen vollen, sehr selbstbewußten Mund. Eine Haut wie Rosenblätter.«
»Das klingt ja wunderbar. Von guter Familie?« »Geborene Gräfin, wohnt auf einem sehr standesgemäßem Schloß.«
»Aber mein Lieber! Aber wie ist sie von ihrer Wesensart? Selbstbewußt, hast du gesagt?«
»Oh ja! Ganz anhänglich, muß ich sagen …« »Das klingt etwas anstrengend.« »Ja, und dann ist sie oft schnodderig.« »Aber Tarjei!« »Und bald elf Jahre alt.«
Cecilie starrte ihn an. Seine Augen funkelten vor Schabernack, und dann brach sie in Gelächter aus. »Du Schuft, du hast mich reingelegt! Und ich war so froh, daß du endlich ein Mädchen gefunden hast!« »Endlich? Ich bin neunzehn!« Cecilie wurde ernst. »Du bist schon immer erwachsen gewesen, Tarjei.«
Sein Lächeln verschwand. »Ja, das bin ich wohl. Großvater hat mich vor vielen Jahren dazu gemacht.«
»Ja. Du hast den Schatz des Eisvolkes bekommen. Viel zu früh. Aber er wußte wohl, daß er bald sterben würde.« »Ja. Und er hat mir so viele geheimnisvolle Dinge beigebracht, die nicht für das Wissen eines Kindes geeignet waren. Doch am meisten bin ich gereift, als Sunniva damals starb. Bei Kolgrims Geburt. Da starb meine Kindheit, Cecilie.«
Sie nickte. »Ich war damals nicht zu Hause. Aber ich glaube nicht, daß ich das Erlebnis überlebt hätte.« »Nein. Es war als ob …als ob sich der Schrecken selbst zu einer
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