Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
zu seinem Pferd.
Der Wirt in der Gaststube seufzte erleichtert auf. Als die vier Verfolger kamen und nach ihm fragten, erhielten sie ausführliche Antwort.
Das war kein Junge, das war Satan selbst gewesen, der in Menschenkleidern dort gesessen hatte. Die Augen hatten gebrannt, als ob der Bursche innwendig ganz und gar aus glühenden Feuern bestand.
»Das ist er«, sagte Tarjei, der damals die Augen seines Bruders Trond gesehen hatte. »Können wir rasch etwas Essen für uns und Futter für die Pferde bekommen, damit wir ihn einholen?! Hat er viel Vorsprung?« »Nicht mehr als sechs Stunden.« Sie sahen einander an. »Jetzt haben wir ihn«, sagte Bergfinn. »Wie heißt das Kirchspiel hier?« »Man nennt es Oppdal.« »Ist es noch weit bis Süd-Trondelag?« »Ihr seid schon dort.«
Tarjei holte tief Atem. »Bringt das Essen, schnell! Jetzt gilt es, seine Spur nicht zu verlieren.«
Aber genau das taten sie. Leicht zu erkennen, wie er war, hatten sie bis dahin keine Mühe gehabt, ihm zu folgen. Aber plötzlich verlief seine Spur im Nichts. Keiner, ganz gleich wen sie fragten, hatte einen gesehen, der wie Kolgrim aussah.
Am nächsten Morgen sagte Kaleb: »Dort drüben ist das Trollheimen-Gebirge. Irgendwo dort gibt es eine Gegend, die Utgärdsgebirge genannt wird.«
»Gut«, sagte Tarjei mit zusammengebissenen Zähnen und stieg vom Pferd. »Jetzt ist es an der Zeit, Onkel Dags Karte zu Rate zu ziehen. Die Schwierigkeit besteht nur darin, daß er und die anderen damals an einer ganz anderen Stelle herunter gekommen sind als dort, wo der übliche Weg verläuft. Den kannte Dag nicht, denn er war noch ein Säugling, als Silje und Tengel die beiden Kleinen auf heimlichen Wegen ins Tal des Eisvolks führten. Wir müssen den umgekehrten Weg nehmen, den, auf dem sie herabgestiegen sind. Er soll ungeheuer strapaziös sein, und es lohnt sich nicht, die Pferde mitzunehmen. Sie hatten damals ein Pferd dabei, aber es war eine unglaubliche Tortur, für sie ebenso wie für das Tier.«
Nachdem sie die Kartenskizze studiert und Kaleb um Rat gefragt hatten, beschlossen sie, wie sie weitergehen wollten.
»Aber Kolgrim - wie kommt er da hinauf?« fragte Kaleb. »Darüber wissen wir nichts. Aber es gibt keinen Zweifel daran, was sein Ziel ist. Und ich weiß, woran er denkt. Dieser Irrsinnige! Er weiß doch nichts über die Kräuter und die geheimen Rezepte, die er in seinen Besitz gebracht hat. Was er tun will, ist der helle Wahnsinn.«
Dann kamen sie zu dem Tal, in dem Tengel und Silje sich mit den Kindern - drei inzwischen, da nun auch Liv dazugekommen war - vor einem halben Jahrhundert von der Qual ihres Abstiegs erholt hatten. Sie folgten demselben Weg in entgegengesetzter Richtung, nachdem sie die Pferde auf einem nahe gelegenen Bauernhof untergebracht hatten.
Höher und immer höher kletterten sie durch die Wildnis hinauf. Dag hatte Tarjei eine ganze Reihe von Merkmalen genannt, an denen sie sich orientieren konnten, und vorläufig funktionierte das recht gut.
Schroffe, zerklüftete Felsen ragten senkrecht vor ihnen und um sie herum empor. Hier oben gab es keinen menschlichen Laut, nur der Ruf des Goldregenpfeifers scholl eintönig und klagend durch das Heidekraut. Kalte Winde fegten Schnee von den Gipfeln und heulten in den Felsspalten.
Das ist genau das, was Mattias das Jammern des Windes genannt hat, dachte Kaleb. Aber ihm war sehr unbehaglich zumute. Manchmal erzählte der Wind so traurige Geschichten, und manchmal auch von so viel Leid, so viel Bösem und so viel Gruseligem.
»Hier ist der Bach, an dem sie entlanggegangen sind«, rief Tarjei, und seine Stimme war ganz flach und ohne Hall in dieser Unendlichkeit. »Dann wird der Ausläufer des Gletschers gleich kommen, gleich hinter dem Gipfel dort.«
Sie setzten ihren Weg aufwärts entlang des Baches fort, stapften mit nassen Stiefeln durch Beerengestrüpp und Wollgras, balancierten über glitschige Steine im Bachbett und rutschen die Uferstreifen entlang, auf denen im Sommer die prächtigen goldroten Blüten des Steinbrech leuchten würden. Zu dieser Zeit waren erst einige gräuliche, sprießende Soden zu sehen.
Tief unter sich sahen sie das Hochplateau, das sie gerade verlassen hatten.
Bärd blickte hinauf zu den eisigen Berggipfeln und erschauerte. »Ich hoffe nur, wir müssen nicht denselben Weg zurück gehen.«
»Das brauchen wir wohl nicht«, sagte Tarjei. »Wenn wir unser Ziel erst erreicht haben, dürfte es leichter sein, den richtigen Weg zurück zu
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