Die Saga vom Eisvolk 06 - Das böse Erbe
andere.
»Müßt ihr weit reiten?« fragte Tarald vorsichtig. »Nach Trondelag«, antwortete Tarjei. »Bist du von Sinnen?« sagte Yrja.
»Keineswegs. Wie es aussieht, ist Kolgrim dorthin unterwegs. Und ich habe schon einmal einen der unglücklichen Verdammten des Eisvolks verrückt werden sehen. Das reicht.«
»Aber ich bin aus Trondelag«, sagte Kaleb. »Und ich habe meine Aufgabe erfüllt: Mattias nach Hause zu bringen. Also muß ich ohnehin weiterziehen. Vielleicht nicht gerade in mein Heimatdorf, aber… weiter. Wohin auch immer.«
Tarjei betrachtete ihn nachdenklich. »Von wo in Tronde lag?« »Aus Horg. Südlich von Trondheim.«
»Gut!« nickte Tarjei. »Wir können jemanden brauchen, der sich dort auskennt. Und dann will ich noch einen - nein zwei Männer mehr haben. Jetzt muß ich mit Liv und Dag sprechen.«
Liv erinnerte sich nicht mehr an vieles, sie war erst drei Jahre alt gewesen, als sie Trondelag verlassen hatten. Aber Dag zeichnete eine Karte, die Tarjei in seinem Hemd verbarg.
»Tarjei… «, bat Liv. »Er ist unser Enkel. Und er war die letzten Jahre hindurch brav. Wir hatten bis jetzt keinen Grund zur Klage. Nicht, bevor wir erfahren, was er… « Sie schwieg.
Er nickte. »Ich werde ihn anständig behandeln. Aber er könnte Schwierigkeiten machen.«
Und dann erzählte er ihnen von Trond, wie grotesk er durch den Fluch des Eisvolks verwandelt worden war. Sie waren erschüttert, das hatten sie nicht gewußt. »Wenn dem so ist, finde ich nicht, daß du überhaupt losreiten solltest«, sagte Dag. »Kolgrim ist jetzt vermutlich gar kein Kind. Er ist… wie ein Werwolf in Menschengestalt. Habe ich recht?«
Tarjei nickte, Tronds Bild schmerzhaft vor Augen. »Ja, so in etwa.«
»Also bleib hier! Die Welt braucht dich, weißt du.« Tarjei lächelte flüchtig. »Ich habe Tronds Angriff überlebt. Ich habe eine Hungersnot im Harz und eine Pest hier zu Hause überlebt - und die Pocken in Deutschland. Nicht daß ich glaube, ich wäre unsterblich, aber ich werde wohl auch dieses Mal überstehen. Und sei es nur, um meinen Sohn wiederzusehen. Ich war so verzweifelt, bevor ich wegfuhr, daß ich mir nicht einmal die Mühe machte, den kleinen Kerl überhaupt kennenzulernen. Ach, ihr ahnt ja nicht, wie oft ich die letzten Tage an meinen Mikael gedacht habe!« »Gott sei mit dir, Tarjei«, sagte Dag.
»Ich danke euch. Ich habe alle Vorteile auf meiner Seite. Denn ich weiß, was Kolgrim vorhat, ich kenne seine Gedanken, kenne die Bösartigkeit des Fluchs. Das mit Trond damals hat mich völlig überrumpelt - und trotzdem habe ich es geschafft. Jetzt bin ich vorbereitet! Und kein Wort darüber auf Lindenallee, bevor ich weg bin! Ich will nicht von Vater überredet werden, hierzubleiben.«
»Ich werde mich um Are kümmern«, lächelte Liv. »Er ist mein kleiner Bruder, und ich habe es immer geschafft, ihn zu überzeugen.«
Dann ritten die vier Männer davon, Tarjei, Kaleb und ein Stallknecht namens Bärd, der sich um die Pferde kümmern sollte. Klaus war inzwischen zu alt und Jesper zu unzuverlässig. Der Vierte war Bergfinn, ein Häusler. Er und Bärd waren große, starke, verläßliche und relativ junge Männer.
Kolgrim hatte einen gehörigen Vorsprung. Aber sie rechneten damit, daß er in der Nacht eine Pause eingelegt hatte, also waren sie voller Zuversicht.
Die erwies sich allerdings als trügerisch. Wohin sie auch kamen, erhielten sie stets die gleiche Antwort: Ja, ein Junge mit brennenden Augen hatte hier gerastet oder war vorbeigeritten. Aber das war schon einen halben Tag her.
»Er reitet schnell«, sagte Bärd, der Stallknecht. »Aber wir holen ihn bald ein.«
Tarjei war weniger zuversichtlich. »Wer von einem fanatischen Eifer angetrieben wird, kommt schneller vorwärts als jemand, der einer schweren Aufgabe entgegenreitet.« Die anderen sahen ihn fragend an, aber er sagte nichts weiter.
Einmal, als sie Rast an einem sonnigen Berghang machten, damit die Pferde ein wenig von dem spärlichen Frühjahrsgras zupfen konnten, sagte Kaleb:
»Schon in der Grube hat Mattias das Eisvolk ein paar Mal erwähnt. Und ich bin jedesmal zusammengezuckt. Denn den Namen kannte ich.« »Tatsächlich?« sagte Tarjei verblüfft.
»Ja. Aber weil Mattias behauptete, er sei einer von ihnen, wollte ich nichts sagen. Aber jetzt begreife ich, daß Ihr fast alle dem Eisvolk angehört. Ich hätte nie gedacht, daß es wirklich existiert.«
Tarjei setzte sich bequemer zurecht. Er war sehr gespannt. »Erzähl! Wo hast du
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